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So schön wie hier kanns im Himmel gar nicht sein!: Tagebuch einer Krebserkrankung (German Edition)

So schön wie hier kanns im Himmel gar nicht sein!: Tagebuch einer Krebserkrankung (German Edition)

Titel: So schön wie hier kanns im Himmel gar nicht sein!: Tagebuch einer Krebserkrankung (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Schlingensief
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er über seine Krankheit oder über seinen Tod nach, wie schrecklich. Aber das ist es nicht. Ich habe noch vieles zu denken, weil sich ja der Blick auf die Welt und auf die Menschen verändert, weil es jetzt so viele neue Perspektiven gibt.
    Ich will mir natürlich nicht Nase und Ohren zustopfen und selbstgenügsam rumliegen mit dem Gefühl, ich habe der Welt jetzt etwas Wichtiges zu erzählen. Man muss nicht unbedingt etwas Außergewöhnliches erleben, am Abgrund stehen oder gegen Krebs kämpfen wie ich, um etwas Sinnvolles zu sagen zu haben, das meine ich gar nicht. Jeder kann in jedem Moment seines Lebens etwas Großartiges zur Welt sagen. Aber wenn man so komplett auf sich zurückgeworfen ist, wenn man sich natürlich doch fragt, wieso ausgerechnet ich und wieso ausgerechnet so – in diesen Momenten der Unfreiheit erfährt man gleichzeitig die Freiheit, Neues denken zu können, auch neuen Unsinn denken zu dürfen. Das ist ein großer Gewinn.

    Auch diese Idee mit Afrika sehe ich heute produktiver. Es geht nicht ums Abhauen, es geht nicht ums Aufgeben. Natürlich werde ich vor der OP eine Patientenverfügung machen, ich will im Fall der Fälle nicht drei Wochen, vier Wochen im Wachkoma rumhängen, hier noch ein Schlauch und da noch ein Monitor und irgendwann war’s das dann. Das will ich nicht. Das will doch niemand.
    Aber im Kern glaube ich, dass ich das Leiden aushalten muss, dass das Sterben Bestandteil dieses Lebens ist und dass das seinen Sinn hat. Das kann man nicht einfach abschaffen, indem man sich irgendeine Spritze geben lässt. Ich will mein Sterben aushalten. Sicher bin ich feige, habe Angst vor den Schmerzen und merke auch, dass ich da in meinem christlichen Glauben noch einige Diskussionen führen muss. Aber ich will mich nicht in der Schweiz einschläfern lassen, an irgendeiner Raststätte oder in einem Hotelzimmer – das ist ja grauenhaft, das hat doch mit Freiheit nix zu tun. Wenn, dann mache ich das da unten in Afrika, und das Einschlafen ist aber ein Akt von Arbeit, Schmerzen, Produktivität, Leiden, Erzählen.
    Ich finde, das muss ich mir erlauben dürfen. Irgendwann möchte ich sagen dürfen: Ich gehe jetzt den Schritt in den Tod, in diese andere Welt oder in das Universum. Ich mache hier nicht die Nummer mit, dass sich alles um meine Krankheit dreht, dass ich bis zum Ende von Intensivmediziner zu Intensivmediziner gereicht werde, im Sinne von Vollnarkose voraus oder so etwas.
    Da werde ich Aino und meine Freunde inständig drum bitten: Wenn es in den Krankenakten einsehbar ist, nach Gesprächen mit den Ärzten, nach der dritten Chemo oder was weiß ich, was noch für Punkte auftauchen im Register, soll man mir die Möglichkeit verschaffen, wegzugehen. Die meisten Leute wollen nach Hause, ich will eben weggehen. Und zwar möglichst an einen Ort in Afrika. Und ich erhoffe mir, mich dort als Person in ihrer ganzen Absurdität irgendwie zusammenführen zu können. Als Bild stelle ich mir eine Art Auffanggefäß vor. Eine Arche, meinte Alexander Kluge am Telefon: Alles, was wichtig ist, wird gesammelt und in einem Kasten zusammengeführt. Das ist eigentlich trivial, wirkt vielleicht auch lächerlich und anmaßend. Aber ich glaube, der Gedanke, sich am Ende irgendwie zu sammeln, zusammenzusammeln, bedeutet etwas sehr Schönes.
    Deswegen muss ich vielleicht zu dem Urgedanken zurück, den ich ja schon vor einem Jahr hatte: Ich baue ein Opernhaus in Afrika. Und diese Oper, die ich baue, bekommt eine Krankenstation, eine kleine Schule, eine Herberge, eine Kirche und Probebühnen. Aino schlug noch vor, dass es dort ein Sumpfgebiet geben sollte. Aber im Kern wird da ein Opernhaus als Arche gebaut.
    Die Oper, die aufgeführt wird, muss noch komponiert werden. Da konnte ich gestern nach dem MRT zum ersten Mal wieder lachen, als ich mit Aino darüber nachgedacht habe, was wir dort aufführen. Ich sagte, dann muss eben noch etwas komponiert werden. Wer weiß, vielleicht summen oder pfeifen wir ja alle einfach irgendetwas ins Mikrofon. Und dann schlug Aino vor, dass die Oper »Bösartig« heißen sollte. Das fand ich super. Mir fiel dann noch der passende Untertitel ein: »Wir pfeifen alle aus dem letzten Loch«. Und am Ende steht nur noch Horst mit der Mundharmonika auf der Bühne, und Kerstin, die immer ihren Arm heben und auf ihre Rippe zeigen muss, wo ein Loch gemacht wurde, um zu punktieren, und seitdem pfeift es aus der Ecke. Und wenn dann alles vorbei ist, werden alle Instrumente im Sumpf

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