So schön wie hier kanns im Himmel gar nicht sein!: Tagebuch einer Krebserkrankung (German Edition)
nichts mehr als einfach leben. Das hört sich jetzt vielleicht zu pathetisch an, aber ich glaube, in dem Rhythmus dieser Geschichte liegt etwas, nämlich dass man plötzlich begreift, dass man immer nur das Entweder-oder kennt und nie das Alles-zusammen.
Als mir das klar wurde, habe ich einen tiefen Frieden gespürt. Vor der Operation war mein Verhältnis zu Gott, zu Jesus und Maria ja extrem gestört. Ich bin da reingegangen wie in einen Kampf, weil ich so wütend, so geladen war. Wollte, dass die mich in Ruhe lassen, und fühlte mich bevormundet. Und meinen Papa habe ich auch nur noch beschimpft, ihn verantwortlich gemacht für meine eigenen negativen Gedanken. Aber gestern Nacht konnte ich mich mit Jesus, Gott und Maria versöhnen und sagen: Liebt mich doch einfach ein bisschen, ich bitte darum. Auch mit meinem Vater konnte ich Frieden schließen, weil ich in diesem Moment akzeptieren konnte, dass er während seiner Krankheit nun mal keine Lebensfreude mehr entwickeln konnte. Eigentlich wollte auch er das Leben genießen, wollte viele kleine Sachen, die jeden Menschen glücklich machen würden, aber er wusste eben irgendwann nicht mehr, wie er das anstellen sollte, hat den richtigen Weg nicht gefunden, vielleicht auch, weil er so deformiert war von diesem christlichen Schuld- und Strafebrimborium.
Und so habe ich ihn zwar um etwas positives Denken gebeten, aber auch verstanden, dass es an mir liegt, ob das klappt oder nicht. Denn wie soll er mir positives Denken schicken, wenn ich in mir selbst das Positive nicht zulasse? Ich selbst habe nicht die Offenheit zum Positiven, verlange sie aber von meinem Vater, verlange von ihm, dass er Kraft gibt und sagt, Junge, es ist alles gut. Und wenn er das nicht macht, werde ich maßlos in Beleidigungen. In meinem Kern bin ich für diese Kraft gar nicht offen, weil ich permanent zu Widerstand aufgerufen habe, die Welt als etwas gesehen habe, wo man vor allem Widerstand leisten muss. Aber in Wahrheit kann man keinen Widerstand leisten, wenn da etwas ist, was keinen Widerstand braucht oder erzeugt.
Viele Leute denken wahrscheinlich, sie müssten in so einer Situation Kämpfe ausfechten und mit irgendwelchen Mächten über Leben und Tod verhandeln. Ich ja auch. Ich habe gekämpft, verhandelt, gebettelt und dabei vergessen, dass beide, das Kind und ich, leben wollen. Inzwischen bin ich aber sicher, dass es nicht darum geht, sich gegen Gott zu stellen oder mit Gott Spiele zu spielen.Vielleicht ist das ja das göttliche Prinzip in einem selbst, wenn man plötzlich begreift, dass man manchmal nichts tun kann, dass Widerstand falsch ist. Dass man zwar die Medizin einschalten und auch hoffen kann, wieder gesund zu werden, aber dass man sich eigentlich ergeben muss.
Man muss vor allem aufpassen, dass man nicht immer den anderen die Schuld gibt. Dazu gehört auch Gott. Es ist ja klar, dass manchmal Sachen passieren, bei denen man sich fragt, wie er das zulassen konnte, was daran sinnvoll sein soll. Natürlich ist alles sinnvoll. Aber nur, weil alles zusammengehört. Man ist eben nicht der Einzelkämpfer, der heroische Bergsteiger, der jetzt mal eben den Krebs bezwingt – das ist schon im Ansatz vermurkst. Es ist viel besser, sich klarzumachen, dass man mit den anderen verbunden ist. Das heißt natürlich nicht, dass man alle in den Tod ziehen muss, um zu sterben, oder dass man weiterleben kann, solange der andere lebt. Ich meine nur, ich muss aufhören, mich selbst als Einzelkämpfer zu sehen, der alleine durch die Gegend zieht und irgendwelche Schlachten gegen Gott und die Welt schlägt.
Meinen Frieden konnte ich gestern Nacht jedenfalls erst finden, als ich aufgehört hatte, die ganze Zeit zwischen dem kleinen Kind, das leben soll, und mir, der dann großzügigerweise nicht mehr leben will, zu differenzieren. Erst als ich verstanden hatte, dass wir beide leben wollen, dass wir irgendwie zusammengehören, konnte ich die Bitte äußern, mich fallen lassen zu können, sagen zu können, es geschehe. Das klingt pathetisch, aber es ist ein schöner Satz: Es geschehe. Let it be.
Trotzdem kam die Angst wieder. Immer wenn ich wach wurde, bin ich vor Schreck zusammengezuckt, weil ich dachte, etwas stimme mit meiner Atmung nicht. Da wollte ich in der Nacht noch einmal Aino anrufen, aber sie ging nicht dran, und ich wusste nicht, ob die Nummer stimmt, weil ich keine Brille hatte. Da kam dann Schwester Doris, die sehr nett, fast mütterlich war. Sie sagte, denken Sie sich blaue Wolken,
Weitere Kostenlose Bücher