So schön wie hier kanns im Himmel gar nicht sein!: Tagebuch einer Krebserkrankung (German Edition)
kann ein Jahr dauern, es können auch fünf Jahre werden, auch zehn oder zwanzig, kann alles sein. Die Basis ist gelegt.
Aber es geht nicht darum, jetzt groß zu tönen, ihr werdet euch noch wundern, ich schaff das schon, egal wie. Es geht auch nicht darum zu sagen, ihr könnt mich alle mal, ich habe keine Lust mehr. Geht beides nicht, man muss irgendwie einen anderen Weg finden. Aber wie? Es ist eine sehr, sehr komische Situation, die die ganzen Kräfte, die zum Glück und Unglück führen, zu Freiheit und Unfreiheit, zu Liebe und Hass, irgendwo in sich birgt.
Tja, »irgendwie«, »irgendwo« – das sind auch so Worte, die ich eigentlich nicht ausstehen kann.
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Freitag, 1. Februar, tagsüber
Inzwischen ist der dritte Tag nach der Operation, der mit einer Nacht voller Scheißerei begann. Bin in die Analphase eingetreten und habe reichlich ins Bett geschissen, aber die Ärzte sind begeistert, weil das ein gutes Zeichen ist:Wenn sich der Darm regt, ist Befreiung in Sicht.
Heute wollen sie auch meinen Blasenkatheter ziehen, weil ich inzwischen schon ein paar Schritte gehen kann. Mein Herz soll auch noch einmal untersucht werden, ob es mit dem ganzen Kram klarkommt. Aber da bin ich wirklich zuversichtlich, weil ich selbst beim Aufstehen und Laufen keine Probleme habe. Die linke Seite tut zwar immer wieder weh, aber nur da, wo die Wunde ist. Ich denke, dass das irgendwann verschwinden wird. Auch mein Sprechen ist noch etwas verlangsamt. Kann man nichts machen. Ist erst mal so.
Als Aino gestern zu Besuch war, war die Stimmung ein bisschen angespannt. Sie hatte so viele schöne Sachen eingekauft: Schokoladenpudding, Tiramisu und so. Aber es war nichts dabei, was ich mochte. Da bekam ich schlechte Laune und wurde ziemlich mürrisch. Schon ungerecht. Sie war insgesamt zehn Stunden hier, das muss man sich mal vorstellen. Zehn Stunden! Wenn es umgekehrt wäre, würde ich doch nicht zehn Stunden hier rumsitzen. Ich hätte meinen Laptop aufgebaut, würde arbeiten, E-Mails schreiben und so, und wäre des Öfteren entschwunden. Aber meine Aino, die ist fast immer hier, kümmert sich um mich oder legt ihren Kopf auf meinen Schoß, und dann schlafen wir beide ein. Das ist sehr, sehr schön.
Gestern hatte ich sowieso den großen Schlaftag. Ich denke zurzeit über den gesamten Krebshaushalt nicht richtig nach, was natürlich guttut. Dass ich vielleicht noch Kleinigkeiten in mir habe, die da rumflirren könnten – man beachte, dass ich »vielleicht« sage –, steht nicht mehr so im Vordergrund. Erst mal steht im Vordergrund, dass ich da bin. Dass ich merke, wie die Schmerzen nachlassen und meine Mobilität immer besser wird. Dass ich mich um mich kümmere. Professor Kaiser meinte sogar, ich könne morgen wohl nach oben auf die Normalstation, wenn ich noch ein bisschen trainiere. Dann habe ich schon einmal einen wichtigen Schritt sehr erfolgreich hinter mich gebracht. Ich habe Riesenglück gehabt, dass es keine Nachblutungen gegeben hat. Und die Werte, Puls, Blutdruck etc., sind super. Die Blutsättigung ist auch super. Und mein Herz macht mit. Ich habe Kraft und schwadroniere, bin nur manchmal sehr müde. Aber auch das genieße ich gerade: Wenn ich müde bin, dann bin ich einfach müde, basta. Dann gibt’s ein Nickerchen, und ich freue mich über die Entspannung.
Meine Träume sind schwer zu beurteilen. Merkwürdige Sachen, aber eigentlich alle positiv: Da steht plötzlich meine Jeans unter Strom, ich kriege sie nicht weg von dem Stromstecker, will sie wegreißen, das klappt aber nicht. Dann kommt Aino, die Jeans ist wieder frei, wir fahren mit einem Lkw rum, sie redet undeutliches Zeug, ich fühle mich trotzdem wohl. Oder ich sehe einen Freund von mir, wie er Benefizveranstaltungen für ALS-Patienten organisiert. Er gibt sich große Mühe und vergleicht die Veranstaltung mit einer Weltkugel, wo die ALS-Patienten als Sterne eingezeichnet sind.
Ja, im Augenblick bin ich entspannt. Ich träume schön, es ist hell, die Sonne scheint, und ich bin immer noch saufroh, dass ich mich tatsächlich getraut habe, diese OP zu machen. Und die Kräfte werden wiederkommen, da bin ich mir sicher. Ich spüre ja schon, wie ich kräftiger werde. Die ganzeWundsituation ist natürlich da, die kann ich nicht ändern. Die Umstellung vom Herzen kann ich auch nicht ändern. Meine Angst vorm Husten ist auch noch immer da. Da könnte ich was dran ändern, versuche ich vielleicht nachher einmal.Aber, meine Güte, es ist erst der dritte Tag
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