So schön wie hier kanns im Himmel gar nicht sein!: Tagebuch einer Krebserkrankung (German Edition)
nach der Operation …
Als Aino gestern kurz ins Theater musste, kam eine alte Freundin zu Besuch, zu der ich immer noch einen tollen Draht habe. Wir haben viel geredet, über alles Mögliche, vor allem darüber, was der Begriff der Freiheit für den Einzelnen bedeutet. Darüber ist, finde ich, nicht genug nachgedacht worden, es geht immer nur um Freiheit in Bezug auf andere, ums Politische. Die Freiheit des Einzelnen besteht wahrscheinlich darin, über sich selbst nachdenken zu dürfen. Aber das fällt schwer, weil man dafür seine Höhle verlassen müsste. Das ist kaum möglich. Man kann nur schwer über sich nachdenken, weil man nicht aus sich raustreten kann. Man kommt irgendwie nicht auf Distanz. Vielleicht können das irgendwelche Yogis, Sektenheinis oder Meditationsgurus besser. Keine Ahnung, wäre auch nicht so mein Ding, glaube ich. Aber man sollte wahrscheinlich gerade in einer solchen Situation nichts unversucht lassen, um einen Weg aus der eigenen Höhle zu finden.
Über diese Dinge haben Claudia und ich gesprochen. Und ab und zu kam die Traurigkeit wieder und ich musste weinen. Da hat sie mir einfach die Hand auf den Kopf gelegt. Und ich habe gespürt, wie gut mir solche Gesten der Wärme tun, wie schön es ist, einen Funken Liebe zu empfangen.
Zurzeit bekomme ich viele Funken Liebe geschenkt. Als ich einer anderen Freundin die Geschichte von mir und dem Kind erzählt habe, sagte sie: »Du hast so viel gegeben in deinem Leben, dass du jetzt auch mal was nehmen darfst, du hast es absolut verdient, dass man dich jetzt beschützt und versorgt.« Solche Sätze sind wahnsinnig schön. Und Aino liebt mich und ich liebe Aino. Das ist ein großes Glück. Zu merken, dass man geliebt wird, ist schön. Jemanden zu lieben, ist auch schön.
Aber was machen die Leute, die niemanden haben? Ich denke immer mehr, dass man auch einen Weg finden muss, sich selbst gernzuhaben. Aber wie liebt man sich selbst, ohne arrogant und schnöselig zu werden? Das finde ich schwierig. Hört sich so selbstverständlich an, man sollte sich selbst mögen – aber wie macht man das? Wie machen das die anderen?
Doch ich bin auf einem guten Weg, glaube ich. Ich merke zum Beispiel, dass ich nicht mehr nur aus kompletter Hilflosigkeit weine, sondern manchmal auch aus Stolz auf das, was ich in meinem Leben so alles gemacht habe. Auch wenn ich immer noch nicht weiß, an was für einer Plastik ich eigentlich gebaut habe und warum sie in ihrer Form nicht richtig sichtbar ist. Aber vielleicht geht es gar nicht so sehr darum, das herauszufinden, vielleicht ist es im Augenblick für mich wichtiger zu verstehen, warum ich mich in so vielen Punkten selbst nicht gemocht habe.
Ziemlich genau vor einem Jahr ist mein Papa gestorben. Das war schlimm, ich konnte kaum begreifen, dass er jetzt einfach weg ist, und war furchtbar traurig. Aber ich habe auch kapiert, dass ich an einem Defizit an Selbstliebe leide. Dass ich mich viel zu oft gehasst habe für das, was ich getan habe. Natürlich war es schwierig, dass ich die Geschichte meines Vaters, meine Frage, was mit der Geschichte von jemandem passiert, wenn er für immer verschwindet, meine Trauer über seinen Tod gleich schon wieder in meine Arbeit einbauen musste. Da ist vieles öffentlicher geworden, als ich es vorhatte. Dafür habe ich mich gehasst und dafür mag ich mich immer noch nicht.Aber ich kann es mir bis heute nicht erklären, warum ich Berlin Hals über Kopf verlassen musste, als mein Vater gestorben ist. Es gab einen wahnsinnigen inneren Zwang in mir zu sagen, ich muss hier weg. Und dann bin ich tatsächlich abgehauen, habe die Wohnung aufgelöst, alle haben mitgeholfen, es war der totale Horrortrip. Ich konnte auch keine Texte, keine Briefe mehr in Ich-Form schreiben. Ich hatte praktisch abgeschlossen mit diesem Christoph Schlingensief.
Warum habe ich mich nicht einfach mal gemocht?
Wenn ich jetzt darüber nachdenke, frage ich mich natürlich: Was war denn das? Habe ich mich so wenig selbst gemocht, dass ich dachte, ohne meinen Vater bräuchte es mich nicht mehr zu geben? Zumindest nicht mehr den Christoph, der da seine Sachen macht? Habe ich geglaubt, dass mein Vater letzten Endes derjenige war, für den ich die Stellung gehalten habe? Damit der Vater mitbekommt, dass der Sohn lebt und dass der Sohn es so allmählich geschafft hat, dass er auf Reisen geht und langsam auch international bekannt wird? Tja, der Sohn hat sich tatsächlich immer sehr bemüht, das muss ich schon
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