So schön wie hier kanns im Himmel gar nicht sein!: Tagebuch einer Krebserkrankung (German Edition)
Schafe, Landschaften, denken Sie sich solche Sachen, das hilft Ihnen. Die Leute sagen jetzt vielleicht, das ist doch alles Kitsch. Baby, Wolken, Schafe – alles Kitsch. Ist auch Kitsch, aber es ist auch was dran. Ich hätte mir das Bild mit den Wolken und Schafen nicht unbedingt selbst gewählt. Das ist auch nicht der Punkt. Der Punkt ist, dass die Schwester mir helfen wollte, als sie das gesagt hat. Das war Liebe: Ich helfe dir hier jetzt gerade mal, kleiner Mann, kleiner Christoph. Das war wunderschön.
Und irgendwann kam auch noch das Telefonat mit Aino zustande, habe bestimmt eine halbe Stunde mit ihr geredet, was hier auf der Intensivstation eigentlich nicht erlaubt ist, aber die lassen gerade vieles zu. Nach dem Telefonat war ich wieder ruhiger gestimmt. Außerdem habe ich noch eine Beruhigungstablette bekommen und geschlafen, bis es morgens wieder losging mit Untersuchungen, Mobilisierung etc. Geträumt habe ich gigantisches Zeugs: Ich würde die Bibel umschreiben und so etwas. Jetzt denkt man wahrscheinlich, ich sei völlig auf dem religiösen Trip gelandet. Aber das stimmt nicht, für mich geht es einfach um einen extremen Wendepunkt in meinem Denken. Und der tut weh, macht aber auch high, vielleicht auch ein wenig irre.
Ich kann das alles noch nicht begreifen. Andere Leute begreifen in so einer Situation sicher auch nicht, was los ist. Daran muss ich immer mehr denken: Wie viele Menschen sitzen wohl in ihren Wohnungen rum, haben vielleicht keinen Krebs, aber erleben andere Katastrophen und suchen verzweifelt nach Liebe? Die können auch nicht verstehen, warum die Frau oder der Mann abgehauen ist, oder warum ihr Kind auf der Straße überfahren wurde. Können auch nicht verstehen, warum sie da so etwas Komisches im Körper haben. Ich frage mich immer stärker, wer denn mit denen redet? Wer hat denn da Kontakt? Ich habe ja das Privileg, mit vielen, vielen Leuten reden zu können. Andere sitzen rum und haben niemanden. Die müssen die ganze Zeit im Internet surfen und irgendwelchen Schwachsinn lesen, den Betroffene und Pseudoärzte schreiben. Betroffene, die natürlich genauso hilflos sind. Deshalb sage ich jetzt »Schwachsinn«, meine das aber überhaupt nicht herablassend. Ich glaube, die schreiben aus Verzweiflung Schwachsinn. Die wollen berichten: Ich habe den Krebs besiegt. MeinVater hat seit fünf Tagen Diagnose soundso, kann mir jemand helfen, weiß jemand ein Mittel oder einen Arzt?
Fürchterlich! Wenn man diese Betroffenenforen im Internet liest, wird einem ganz schlecht, da wird man sofort noch schlimmer krank. Und man merkt, was für eine Hilflosigkeit in diesem Gesundheitssystem steckt. Das muss mal laut und deutlich gesagt werden, was da für eine Hilflosigkeit, eine Unfähigkeit herrscht. Weil die Menschen nicht nur allein gelassen werden mit ihren Ängsten, sondern auch statisch gemacht werden in ihrer Verzweiflung. Sie bekommen mitgeteilt, dass sie krank sind, und geraten dann in einen Prozess, der sie völlig entmündigt. Nicht die Krankheit ist das Leiden, sondern der Kranke leidet, weil er nicht fähig ist zu reagieren, weil er nicht die Möglichkeit hat, mitzumachen. Er ist dem System ausgeliefert, weil niemand in diesem System bereit ist, ernsthaft mit ihm zu sprechen. Klar: Diagnose, Progno-se, Therapie, es wird beinhart aufgeklärt, aber wirklich miteinander gesprochen wird nicht. Dabei könnte man allein dadurch helfen, dass man mit den Menschen spricht, zu Gedanken animiert oder nach Ängsten und Wünschen fragt. Denn dann wäre der Kranke wieder am Prozess beteiligt, dann wäre er aus dieser Statik befreit, die einem die Krankheit aufzuzwingen versucht.
Und je nach Leidensstärke würde sich ein entsprechender Befreiungsschlag entwickeln. Man wäre plötzlich wieder Teil des Systems. Und wenn man das schafft, dann hat man zumindest das Leiden hinter sich – und vielleicht sogar den Krebs besiegt. Sagt jetzt hier der Krebsspezialist Schlingensief. Der natürlich bei einem Schnupfen sagt, kein Problem. Neuer Schnupfen, neues Glück.
Und nun ist es schon Mittwochabend. Ich bin sehr müde und schwach. Meine linke Brust ist vollgelaufen mit Körpersekret. Das Ganze schwabbelt und gluckst. Mein Herz darf die viereinhalb Liter Blut ja praktisch nur noch in eine Richtung transportieren, die andere Seite ist dicht gemacht. Das strengt an, aber die Ärzte meinen, mein Herz schafft das. Und alle möglichen Leute erklären mir, dass das hier ein toller Schritt in die Zukunft ist. Das
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