So schön wie hier kanns im Himmel gar nicht sein!: Tagebuch einer Krebserkrankung (German Edition)
der Erde bin.
Über diese Ängste habe ich auch mit der sehr netten Oberärztin geredet, ihr meine Fragen gestellt, von meinen Bedenken erzählt. Denn bei so einer Diagnose möchte ich mal denjenigen sehen, der einfach sagt, ja, so war das, so ist das, und weiter geht’s. Die Angst wird ja nicht besser dadurch, dass man sie zu ignorieren versucht, das funktioniert ja nicht. Carl Hegemann hat mal gesagt, wenn man in ein Flugzeug steigt und nicht einen Funken von Angst hat, dann sei das Risiko größer, dass man abstürzt. Das ist vielleicht eine blöde katholische Vorstellung, aber es ist auch was dran. Ich will meine Angst nicht unterdrücken. Und wenn irgendwas mit meinem Körper nicht stimmen sollte, er mit 47 sagen sollte, ich kann nicht mehr, dann hat das nichts mit meiner Laune zu tun. Ich kann doch jetzt nicht hingehen und sagen, ich werde geheilt, wenn ich keine negativen Gedanken habe. Ist doch Quatsch. Natürlich möchte ich am liebsten noch einmal 47 Jahre leben. Ist doch klar. Wer denn nicht? Warum sollte ich denn jetzt sagen, das reicht mir, habe genug gemacht, auf Wiedersehen? Und sich damit zu trösten, dass es für einen Künstler besser ist, jung zu sterben, bevor er sich im Alter nur noch selbst zitiert, nee, vielen Dank! Dann will ich lieber kein Künstler mehr sein, da will ich doch lieber leben.
Der Dämon kreist.
Und natürlich werde ich alles probieren, damit mein Körper, wenn so ein Scheißteil kommt, weiß, dass er aufpassen muss. Und schwupp und aufgegessen. Das hört sich leichter an als getan, weil es ja auch Krebsarten gibt, wo gar nichts klappt. Der Dämon, der mit diesem Wissen verbunden ist, der ist da, der Dämon kreist.
Wenn er mich besonders quält, dann male ich mir aus, dass Aino irgendwann nicht mehr kann. Dann unterstelle ich, dass sie weg ist, wenn es noch blöder läuft, wenn die nächste Nummer kommt und noch eine und noch eine. Dabei weiß ich gleichzeitig, dass sie das mit mir zusammen durchstehen will und dass es auch an mir liegt, ob sie bleibt. Im Moment ist es so schön mit uns: Wenn wir Händchen halten und friedlich nebeneinanderliegen, dann ist einfach alles gut.
Ich denke also gar nicht nur negativ. Sonst hätte ich mich ja auch gar nicht operieren lassen. Es ist beides gleichzeitig da, der Optimismus und der Pessimismus, der Mut und die Angst. Das ist jetzt erst mal so. Das heißt, ich bin sauber, das Zeug ist weg. Und das heißt, ich bin unsauber, weil vielleicht noch irgendwelche Reste von diesem Monster herumschwimmen. Und das heißt, der Dämon ist noch da.
Aber man kann Dämonen ja auch in gewisser Weise benutzen, für sich einsetzen. Ich könnte mir zum Beispiel vorstellen, wie schön es sein wird, den Leuten demnächst zu sagen: Nee, ich kann jetzt nicht. Und wenn sie fragen, ja, warum denn nicht? Warum können Sie denn nicht?, antworte ich einfach: Weil ich noch denken muss. Ich kann heute nicht. Es tut mir leid, ich würde gern, aber ich muss noch denken. Das ist vielleicht etwas, was im Positiven mit dem Dämon dieser Krankheit verbunden ist: Ich brauche mich bei manchen Leuten nicht mehr zu erklären. Warum auch? Da gibt’s gar nix zu erklären. Es ist einfach so, dass man jetzt keine Zeit hat. Tut mir leid, das interessiert mich nicht. Nein, man muss nicht einmal sagen, das interessiert mich nicht. Man kann einfach sagen: Ich danke Ihnen für Ihre Anfrage. Kann nicht teilnehmen. Ich denke gerade.
Und ich könnte versuchen, im Positiven zu begreifen, wie sehr sich mein Blick auf dieWelt geändert hat seit ein paar Wochen, wie viel mehr ich schon jetzt über mich und die Welt weiß. Die ist nun für mich vielleicht in drei Jahren zu Ende, vielleicht auch schon in einem Jahr, vielleicht auch erst in fünf – das weiß ich ja nicht. Aber ich weiß, dass ich, solange ich noch lebe, diese Welt etwas anders anschauen werde, vielleicht auch wie das Kind auf der Intensivstation etwas mehr auf Zehenspitzen über die Erde laufen werde.
Das Normalste ist das Schönste.
Auf jeden Fall werde ich versuchen, die kleinen Dinge zu genießen. Es geht nicht darum, demnächst zu beweisen, dass ich auf dem Mond tanzen kann; es geht nicht darum zu tönen, dass ich mich ab jetzt um die Marsmenschen kümmere, weil die keine Stimme abbekommen haben und auch mal was sagen müssen. Nee, das ist es nicht. Es geht um dieses Gefühl, dass es in der Welt, direkt meiner Nase, so viele wunderschöne Sachen gibt. Das kann ein Baum sein, ein leckeres Essen, alles, was mir
Weitere Kostenlose Bücher