So schön wie hier kanns im Himmel gar nicht sein!: Tagebuch einer Krebserkrankung (German Edition)
sagen. Der Sohn hat sich wirklich bis zur Selbstverleugnung bemüht. Er hat wirklich viel getan. Er ist zu Hause bei den Eltern mit seinen Erfolgsgeschichten rumgeturnt, hat den weißen Riesen gespielt, um die Wohnung hell zu kriegen, Leben in die Bude zu bringen, den Vater ein bisschen aus seiner Depression zu holen und bei der Mutter für gute Stimmung zu sorgen. Aber der Sohn hat völlig vergessen, sich dafür und für seine Arbeiten, von denen er da so überschwänglich erzählt hat, auch mal über den Kopf zu streicheln, hat vergessen, sich zu loben und sich zu sagen: Das hast du gut gemacht, Alter. Stattdessen hat er sich gequält und die schlechten Kritiken gelesen: Tja, der Schlingensief … nix Neues mehr … provoziert nicht mehr … war früher besser … gehört nicht ins Museum … und so weiter.
Warum konnte ich mich und meine Sachen nicht einfach mögen, egal, was die anderen gesagt haben? Warum habe ich nicht einfach das Leben genossen? Warum habe ich es nicht als schön empfunden, dass so viele Gedanken zusammenkamen? Vor allem, dass ich so viel mit anderen Leuten zusammen gemacht habe, es war ja immer Teamarbeit. Meine Arbeit bestand doch darin, Behältnisse für Gedanken zu schaffen, Forschungslabore zu erzeugen, und nicht Krawalle oder Explosionen oder Stromschläge. Warum habe ich mich dafür nicht einfach mal gemocht? Für die Fähigkeit, Leute zusammenbringen, Gedanken zusammenbringen und zu mixen – das kann ich doch, und das ist mir doch wichtig. Ich glaube an die Macht des Gedankens. Ich glaube an die Macht des Gegengedankens. An die Freiheit des Gedankens. Aber ich habe mich nicht freuen können, mich nicht belohnen können, mich nicht streicheln und lieben können. Sich immer mal wieder zu sagen, Christoph, das war ein guter Tag, das hast du gut gemacht – das habe ich einfach vergessen. Und das ist schade. Das ist sehr, sehr schade.
Vor einer halben Stunde war Visite. Es wurde freundlich miteinander geredet, wie geht’s und so. Eigentlich geht’s mir ja heute glänzend. Habe heute Mittag viel gegessen, zum Nachtisch gab’s Milchreis mit Zimt und Zucker, Apfelkompott dazu. Zum Frühstück gab es auch schon ein ganzes Brötchen mit Ei, Marmelade, zwei Tassen Kaffee. Zwischendurch habe ich eine Kiwi gegessen, ein Power-Müsli und einen Power-Joghurt mit Banane. Eigentlich habe ich ganz schön zugelangt. Und die Schmerzmittel werden auch immer weiter reduziert. Das hat der Anästhesist ja schon am Tag nach der OP gesagt, dass er nicht verstehe, wie gut es mir schon geht, dass ich da so liege und schwadroniere, als sei nie was gewesen. Obwohl sogar zwischendurch mal die Schmerzpumpe ausgefallen sei und keiner was gemerkt habe. Da hätte er mich anders eingeschätzt, ein bisschen wehleidiger.
Das stimmt auch. Ich hab mich ja selbst über mich gewundert. Und ich glaube, dass mich alles zusammen heil macht. Auf der einen Seite diese Drogen, auf der anderen Seite die Freude, dass man’s hinter sich hat, dass dieser Scheiß aus meinem Körper raus ist – und natürlich dass mir niemand den Stimmbandnerv durchtrennt hat.
Aber meine Brust ist gerade etwas hölzerner oder metallischer als sonst … ich kann’s nur schwer beschreiben. Ich glaube, ich spüre diesen fremden Stoff, der da eingesetzt wurde. Man hat ja im Zwerchfell eine Stelle gefunden, in die sich der Krebs schon reingefressen hatte. Die wurde komplett und breiträumig rausgeschnitten. Das war auch diese zweite leuchtende Stelle, die man auf dem PET gesehen hat. Die ist natürlich immer noch ein Rätsel, weil man nicht weiß, ob sie ein Ausläufer von dem Lungentumor ist oder ob das irgendetwas anderes ist, das separat wächst. Letzteres wäre wohl unangenehmer, weil es bedeuten würde, da gibt es noch eine Tumorart, die es auf mich abgesehen hat. Aber der Tumor selbst, das hat mir Professor Kaiser gesagt, ist definitiv raus. Mit bloßem Auge betrachtet und auch nach dem Schnellschnitt unterm Mikroskop sind alle anderen Lymphe bei mir frei. Das spricht schon mal eine gute Sprache. Weil das heißt, dass die Lymphe noch nicht von dem Tumor beeinflusst worden sind. Und so hat mir das Professor Kaiser auch erklärt: Sie sind jetzt frei, Sie sind klinisch gesehen absolut krebsfrei. Und dieses kleine Zeug, was da jetzt noch rumgondelt, dem werde man mit der Chemotherapie an den Kragen gehen. Danach werde man die Ecken bestrahlen, in denen diese eine befallene Lymphe saß. Um ganz sicherzugehen, dass auch diese Tumorzellen sich
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