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So schön wie hier kanns im Himmel gar nicht sein!: Tagebuch einer Krebserkrankung (German Edition)

So schön wie hier kanns im Himmel gar nicht sein!: Tagebuch einer Krebserkrankung (German Edition)

Titel: So schön wie hier kanns im Himmel gar nicht sein!: Tagebuch einer Krebserkrankung (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Schlingensief
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Ärzten oder telefoniere nachts hinter ihnen her.
    Ich sollte mich also beruhigen. Ich sage nicht, dass ich ab jetzt der Starke bin, der sich niemals aufregt. Das klappt sowieso nicht. Aber ich muss darüber nachdenken, was eigentlich passiert ist, was das für ein Crash für mich war. Vielleicht erfahre ich auch, wann ungefähr der Krebs anfing zu wachsen, vielleicht gibt es ja solche Zusammenhänge. Und ich werde jetzt mit aller Kraft versuchen, viele Dinge zu genießen, Dinge für mich zu tun. Und ich werde den Leuten sagen: Leute, ich bin nicht mehr so schnell, ich bin langsamer geworden. Ich habe 47 Jahre lang Volldampf gegeben, jetzt wird mal ein bisschen weniger Dampf gemacht. Ich kann sicher trotzdem noch ein paar Leute, die schnell sind, begleiten. Ich kann sicher auch mal hie und da ein paar Sachen sagen. Nicht, dass ich Leute mit Ratschlägen totschlagen will, aber ich kann vielleicht dem einen oder andern einen Floh ins Ohr setzen. Das kann man auch, wenn man langsam ist.

    Ich werde mir Wünsche wünschen.
     
    Außerdem glaube ich, dass man sich Wünsche wünschen kann. Und diese gewünschten Wünsche gehen dann manchmal in Erfüllung. Aber eben nur manchmal. Daraus würde ich nie ein Gesetz machen. Man kann nicht sagen: Du musst dir nur die richtigen Sachen wünschen, dann klappt das schon. Das geht nicht. Aber eins ist klar, ich wünsche mir keinen Tumor, ich wünsche mir keine Metastasen, das wünsche ich mir definitiv nicht. Ich habe nun etwas zu erleben, was ich momentan nicht begreife. Aber ich werde mir nicht vorstellen, dass ich ab jetzt nur noch Scheiße erleben kann. Ja, warum denn? Ist ja jetzt ein Bestandteil von dem, was mich ausmacht. Die Frage, warum ich mit 47 so ein Ding kriege, ist müßig. Weil ich sowieso mal einen auf den Deckel kriegen sollte? Weil ich zu viel gemacht und rumgetönt habe? Weil ich mit meiner Gesundheit nicht gut umgegangen bin? Stimmt doch gar nicht. Ich habe nicht geraucht. Ich habe sicher mal das eine oder andere Glas zu viel in der Hand gehabt, okay, ein bisschen Trinken war schon dabei. Aber das hat ja nix mit meinem Lungenkrebs hier zu tun. Woher der kommt und was das ist, das kann ich doch nur als ein Bild auffassen, das so fragwürdig und so merkwürdig ist, dass man eigentlich nur sagen kann: Typisch Schlingensief, wie kommt denn das wieder zustande?
    Aber diesmal habe ich das Bild garantiert so nicht geplant. Hundertprozentig nicht. Ängste gab’s genug, auch Krankheitsvorstellungen, klar. Aber so etwas nicht. Vielleicht ist es ja auch gut, dass man nicht begreift, was da genau vor sich geht. Ich bin zum Beispiel froh, dass ich keine Ahnung davon habe, was der Kaiser da in mir gemacht hat, wie das geht, einen Lungenflügel zu entfernen. Das kann er mir vielleicht mal in ein paar Jahren erzählen. Aber zurzeit ist es erst mal okay, nicht zu wissen, was da jetzt mit meinem Körper passiert, warum es links mehr gluckst als rechts und warum der Atem manchmal so komisch scheuert.

    Die Schläuche müssen entscheiden. Unter Schlauchschutz verlässt man dann diesen Ort hier.
     
    Da nutze ich die Situation lieber dazu, darüber nachzudenken, was Leid für eine Gesellschaft bedeutet, wann Leiden anfängt und wann es aufhört, warum Leiden so ein fremder Begriff geworden ist. Und bastele weiter an meinem Bild des Sterbens, weil ich es wichtig finde, dass man sich nicht an Kabeln und Drähten befindet, wenn man die letzten Gedanken denkt. Sondern dass man in ein Bild einsteigen kann, dass man schon früher gebaut hat, das Bild eben, in dem man diese letzten Gedanken denken möchte. Das Bild muss also wachsen, damit man in diesem Bild verschwinden kann. Und dann ist vielleicht wenigstens ein Gedanke übrig geblieben, nicht einer, der die Welt aus den Angeln hebt oder die Lösung aller Probleme bietet, sondern einer, der vielleicht nichts anderes ist als ein großer Wunsch.

    Na ja, ich hör jetzt mal auf, dieses Wunderding eines Gedankens wird’s eh nicht geben. Eigentlich geht es um das Glück, geliebt zu werden und an einen Ort zu gehen, an dem man sich geborgen fühlt. Und ob das nun in einem Jahr oder in zwei oder drei Jahren oder in fünf ist, da muss man die Schläuche fragen. Muss fragen, wie viel Zeit ihnen bleibt, um das Zeug da abzutransportieren oder umzuleiten. Und man muss vor allem herausfinden, wie lang die Schläuche sind, damit man noch in das Bild reisen kann.
    Die Schläuche müssen entscheiden. Unter Schlauchschutz verlässt man dann diesen Ort

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