So schön wie hier kanns im Himmel gar nicht sein!: Tagebuch einer Krebserkrankung (German Edition)
weiterhin auf der Intensivstation. Einfach nur, damit ich weg bin. Ich stecke, glaube ich, wirklich gerade in einer Art Gefahrenzone. Weil ich viel zu fertig bin, um solche Bandenkriege zu führen. Ich bin in einem Al-Pacino-Film in eine ziemlich harte Schießerei geraten, und der Körper funktioniert gerade nicht hundertprozentig. Das wird besser über die Jahre, das ist klar. Und ich will auch mit alldem umgehen lernen, aber im Augenblick kann ich das nicht. Deswegen muss ich mich jetzt hier rausziehen. Ich brauche vor allen Dingen Schutz, ich will keinen Gedanken mehr daran verschwenden, ob mein Büro arbeitet oder nicht. Ich will jemandem vertrauen können, der die Sachen in die Hand nimmt und mir sagt: Okay, mach dir jetzt gar keine Sorgen, denk an Eierkuchen oder an irgendwas, aber mach dir bloß keinen Kopf, ob wir dein Wohnmobil verkauft kriegen. Ich muss aus all diesen Sachen raus. Ich möchte mir einfach keine Sorgen mehr machen, auch keine Geldsorgen. Und ich möchte alleine sein, das heißt, ich möchte mit Aino und meinen Freunden zusammen sein.
Andererseits ist mir auch klar, dass ich selbst derjenige bin, der hier Mist baut. Sage mir, genau das brauchst du doch, diese Kaffeekranzhektik, du bist es doch, der da Probleme und Sorgen am laufenden Band produziert, das sind ja gar nicht die anderen, auf die du jetzt wieder losschimpfst. Du selbst musst doch was tun, um in diese Normalität zu kommen, die du dir wünschst. Aber dafür braucht man Kraft. Und tief drinnen in mir gibt es etwas, das ist saumüde. Das ist wahrscheinlich echt das kleine Kind in mir. Als ich Alexander Kluge am Telefon die Geschichte mit dem schreienden Kind erzählt hatte, sagte er: »Sie wissen schon, dass dieses Kind Sie selbst waren?« Das fand ich toll. Natürlich, es könnte wunderbar das Kind in mir gewesen sein, das da geschrien hat.
Also, ich möchte mich nicht mehr verteidigen, sondern mich einfach gerne haben, auch wenn ich keine Kraft habe. Das Kind in mir ist vielleicht gar nicht erschöpft und ausgelaugt, es hat eigentlich große Lust zu leben. Das will schreien, furzen und kacken und auch in die Schule gehen und ich weiß nicht was. Es hat noch riesige Sachen vor.Aber es will das eben in einer gewissen Liebe und Geborgenheit tun. Und wenn ich mit dieser Hektik schon am ersten Tag anfange, an dem ich aus dem Ausnahmezustand raus bin, dann bin ich sicher, dass ich demnächst entweder aufgrund von Herzversagen einfach umfalle oder diese Krebsnummer sehr bald weitergeht.
Ich habe jedenfalls heute richtig Schiss bekommen. Ich war so durcheinander, so wahnsinnig aufgewühlt, dass ich mich sehr über mich selbst erschrocken habe. Ich weiß auch nicht, warum ich das alles brauche. Warum ich mich so aufregen muss. Und dann frage ich mich wirklich, wo könnte ich aussteigen, wie könnte ich aussteigen und woher bekäme ich das Geld. Mir kommt es so vor, als dächten die Leute: Klar, Schlingensief, der besiegt einen Drachen und geht dann nachher Kaffee trinken. Er hat zwar jetzt eine Wunde, aber das spielt keine Rolle, die sieht man ja nicht.
Ich war da echt ratlos. Mit Aino habe ich lange, lange geredet, und dann sind wir einfach auf dem Bett zusammen eingeschlafen, wahrscheinlich vor Erschöpfung. Ich kann nur sage: Danke, lieber Gott, dass ich die Aino habe. Was für ein Glück.
Eins ist klar: Ich hab den Tod gespürt, er saß in mir. Ich habe gekämpft. Es werden wahrscheinlich noch einige Kämpfe folgen. Das werden wir sehen. Ich glaube, ich habe Kraft. Die kann man natürlich auch brechen. Daher muss es darum gehen, in eine gute seelische Verfassung zu kommen und die auch zu erhalten, zu schauen, dass es viele gute Momente gibt. Und es geht darum, jemanden zu finden, der mir kurzfristig die schlechten Momente erklärt und mich in der Selbstliebe stärkt. Nicht in der Arroganz und der Überheblichkeit, sondern in der Selbstliebe. Und vielleicht kennt derjenige auch ein paar schöne, wunderbare Tricks, wie man sich zurückziehen kann, wenn man das möchte. Das übe ich dann bei jeder Gelegenheit.
Nachts bin ich sowieso acht bis zehn Stunden weg, und tagsüber bin ich auch noch mal acht Stunden weg. Bin ich halt von 24 Stunden nur acht Stunden da. Kein Interesse mehr daran, permanent irgendetwas sprudeln zu lassen und mich selbst in ein Dauerkorsett zu spannen. Denn eigentlich möchte ich mehr Zeit haben zum Lesen und zum Musikhören. Ganz blöd gesagt, bin ich da unterversorgt. Außerdem möchte ich endlich wieder
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