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So schön wie hier kanns im Himmel gar nicht sein!: Tagebuch einer Krebserkrankung (German Edition)

So schön wie hier kanns im Himmel gar nicht sein!: Tagebuch einer Krebserkrankung (German Edition)

Titel: So schön wie hier kanns im Himmel gar nicht sein!: Tagebuch einer Krebserkrankung (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Schlingensief
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Nacht.

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    Dienstag, 5. Februar
    Heute war ein toller Tag, auch weil ich damit gestern in diesem Gefühl des Abgestorbenseins überhaupt nicht gerechnet hatte. Heute, genau eine Woche nach der Operation, bin ich um sechs Uhr aufgewacht, war wieder ziemlich nass geschwitzt, auch etwas erschöpft und verschmerzt, aber eigentlich ging es gut. Den Weg ins Bad habe ich ohne Probleme geschafft, das Duschen war auch nicht mehr so anstrengend wie beim ersten Mal. Dann bin ich von einem Zivi zum Röntgen abgeholt worden, und das war schon der erste Höhepunkt des Tages: Dieses Rumgefahrenwerden im Rollstuhl hat mir richtig Spaß gemacht, und die Röntgenaufnahme ist wohl auch klasse geworden. Jedenfalls sagte Professor Kaiser, es sehe alles bestens aus. Solche Nachrichten sind natürlich schön.
    Als ich vom Röntgen zurückkam, war das Frühstück schon da, die Sonne schien, ich habe mir diese CD mit Vladimir Horowitz angehört, die mir Aino besorgt hatte, dabei gefrühstückt und den »Tagesspiegel« gelesen. Richtig genossen habe ich das.
    Dann kam so gegen zehn Uhr der Onkologe, den mir Peter Zadek empfohlen hatte, um mit mir über die Chemotherapie zu sprechen. Er wirkte sehr sympathisch und hat sich gleich zu mir aufs Bett gesetzt, wir haben ein bisschen dies und das geredet, und dann hat er mir ein paar genauere Informationen zur Chemo gegeben. Er meinte, es sei absolut wichtig, dass ich sie mache. Und er hält wohl nicht viel von dieser dendritischen Zelltherapie, die ich in Wien machen will, hält wohl auch nicht viel von Mistelpräparaten oder anderen Natursachen, das würde nichts bedeuten, nichts bringen. Ich habe ihm dann versucht klarzumachen, dass es mir aber etwas bedeutet. Die Chemo muss ich machen, das weiß ich, aber ich möchte sie auf alle Fälle noch begleiten. Wenn mich das anspornt und ich das Gefühl habe, ich tue mir etwas Gutes, dann ist das auf keinen Fall schlecht, finde ich. Da bin ich mit dem Onkologen also nicht ganz auf einer Wellenlänge, aber insgesamt war das Gespräch klasse.
    Nach der Massage habe ich Aino, meine Cousine Marion und ihren Mann Michael in der Cafeteria besucht. Stolz bin ich mit Bademantel losgestapft, natürlich auch, um zu zeigen: Guckt mal, ich kann schon laufen, ich hole euch jetzt ab. Auf dem Weg dorthin begegnete mir eine etwas merkwürdige Frau, die ein Betttuch in der Hand hielt, so als sei sie unterwegs zu irgendeinem Wellness-Bereich. Ich weiß noch, dass ich dachte: Aha, die ist ein bisschen schräg. Als ich mit den anderen dann zurück aufs Zimmer kam, beschimpfte mich eine der Putzfrauen: »Sie können doch hier nicht die Tür auflassen! Sind Sie verrückt geworden? Da war gerade eine Frau bei Ihnen im Zimmer, die ist verwirrt und ist hier herumgeirrt.« Da war also diese Frau mit dem Betttuch in der Hand in mein Zimmer gegangen. Was sie hier gemacht hat, haben wir nicht herausgefunden, jedenfalls ist nichts passiert. Das war aber nicht das letzte Mal, dass ich mit ihr zu tun hatte.
    Ein paar Stunden später passierte er dann nämlich, der absolute Höhepunkt des Tages: Ich sitze hier im Zimmer und warte auf Carl Hegemann. Auf einmal geht die Tür auf und die verwirrte Frau kommt rein. Ich frage: »Hallo, wen suchen Sie denn?« Und dann wiederholt sie immer wieder einen Namen: »Herr Decker, Herr Decker, Herr Decker.« Ich sage ihr: »Herr Decker ist nicht hier.« In dem Moment taucht die Putzfrau hinter ihr auf, jagt ins Bild, zeigt auf den Boden und sagt: »Ach du Scheiße, Kacke!«
    Da hatte diese Frau mir vor die Tür geschissen. Ich habe einen solchen Lachanfall bekommen, wie ich ihn mir gestern niemals hätte erträumen können. Ich habe so dermaßen gelacht, dass ich meine Narbe festhalten musste. Alles tat mir weh, aber ich konnte nicht mehr aufhören zu lachen, weil es so abstrus war, dass mir eine Patientin vor die Türe kackt und eine Putzfrau ins Bild springt und sagt: »Ach du Scheiße, Kacke.« Und dann sucht die Patientin Herrn Decker und verschwindet wieder. Unglaublich!
    Die Frau wurde später verlegt, sie ist wohl durch Narkoseoder Schmerzmittel ein bisschen ins Delirium gerutscht. Aber dass sie ausgerechnet mir vor die Tür scheißt, fand ich einfach sensationell. Sie kam mir vor wie eine alte, entgleiste Anhängerin von »Chance 2000«, die mir auf diese Weise ihre Verehrung zeigen wollte. Aber wahrscheinlich war sie einfach jemand, der geschickt wurde, damit ich mal wieder richtig lache. Dieser Haufen vor meiner Tür war ja

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