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So schön wie hier kanns im Himmel gar nicht sein!: Tagebuch einer Krebserkrankung (German Edition)

So schön wie hier kanns im Himmel gar nicht sein!: Tagebuch einer Krebserkrankung (German Edition)

Titel: So schön wie hier kanns im Himmel gar nicht sein!: Tagebuch einer Krebserkrankung (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Schlingensief
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gemacht. Mal mit jemandem zu reden, der die Chemo und all die Sachen schon hinter sich hat. Das sollte ich vielleicht öfters tun. Aber irgendwie hält das nicht vor. Zumindest heute nicht: Mein Herz ist nicht okay, mir tut einfach alles weh. Und jeder Optimismus, jeder Funke von Aktivität in mir sind einfach verschwunden.

    Jetzt ist es schon spät am Abend, und ich habe mir eine Angstwegnehm-Tablette gegönnt, weil ich finde, ich muss nicht, kurz bevor die Ergebnisse aus der Histologie kommen, den starken Mann markieren. Im Moment bin ich es einfach nicht. Aber ich habe mich doch noch aufgerafft, ein bisschen in diesem Beuys-Buch zu lesen, der Titel lautet »Christus denken«. Es enthält dieses Interview mit Pfarrer Mennekes, der stellt gute Fragen, und Beuys antwortet in einem exzellenten Sprachstil, in ganz präzisen Formulierungen, wirklich bewundernswert. Da geht es natürlich auch um den Begriff des Leidens. Aber diesmal bin ich besonders an der Stelle hängen geblieben, wo Beuys sich mit der Kritik an seiner Idee des erweiterten Kunstbegriffs auseinandersetzt, also mit der Kritik an seinem berühmten Satz »Jeder Mensch ist ein Künstler«. Damit habe er natürlich nicht gemeint, dass jeder Mensch ab jetzt malen, schreiben oder musizieren solle. Er habe vielmehr sagen wollen, dass man den Begriff der Kunst auf jede Tätigkeit des Menschen beziehen sollte, dass man jede Arbeit kreativ angehen sollte und da etwas Großartiges entstehen könne. Und als er nach der möglichen Bewertung gefragt wird, sagt er halt, man solle vor allem loben und nicht immer gleich urteilen, man solle positiv reden und nicht immer gleich werten. Ich zitiere das jetzt lieber mal, weil ich das so wichtig finde:
    »Ein Begriff von Schönheit, der sehr abgegriffen ist, der keinen Boden hat, der steht dem erweiterten Kunstbegriff oftmals auch imWege. Ich will einfach mal von ihm sprechen und nicht sagen, das soll nicht sein und das soll sein, das ist schlecht und das ist gut. Dann komme ich ja wieder in so ein Urteil hinein, in ein Verurteilen. Im Gegenteil, man soll ja alle ermutigen, alle. Das ist wichtig. Man soll allen sagen:Was du machst, ist gut, ist eine prima Geschichte, aber da kann natürlich noch was ganz anderes draus werden. Das heißt, das lässt sich noch erweitern.« Und jetzt kommen die Sätze, die mich so beeindruckt haben: »Immer positiv reden, nicht urteilen. Manchmal muss man natürlich auch ein paar harteWorte sagen, aber nach Möglichkeit soll man sich davor hüten.«

    Die Urteils- und Bewertungsmaschine abschalten!
     
    Wenn man alleine das schon mal ernsthaft angehen würde, wenn man diese Urteils- und Bewertungsmaschine abschalten könnte, wäre doch schon viel gewonnen. Klar kann man jetzt auch nach den komischen Elementen und Fehlern im Denken von Beuys suchen. Habe ich ja auch schon öfters gemacht, da mir Beuys mit seinem Rudolf-Steiner-Kram an vielen Stellen auch suspekt ist.Vielleicht hätte es Beuys ja auch Spaß gemacht, mit mir zu fighten. Aber das ist anmaßend, und ich möchte im Augenblick eigentlich jedem Konflikt aus dem Weg gehen. Auch dem Konflikt mit einem Toten und seinen Gedanken. Es ist doch viel besser, sich die Großzügigkeit dieses Gedankens mal bewusst vor Augen zu führen. Immer positiv reden, nicht urteilen – das ist doch ein wunderbarer Gedanke, den absolut jeder verstehen kann. Und auch jeden Tag versuchen kann, danach zu leben.
    So, jetzt schlafe ich mal. Nicht ohne an den tollen Spruch von Meister Eckhardt zu denken, den mir heute eine liebe Freundin geschickt hat. Meister Eckhardt sagt da: »Wenn du deinen Frieden gemacht hast, sind die Dämonen, die dich umgeben, in Wirklichkeit Engel.« Jetzt bin ich schon fast so weit wie mein Vater und sammele Sinnsprüche! Aber egal, es ist was dran an dem Spruch. Auch wenn ich gerade selbst nicht wage, diesen Frieden zu machen.Weder mit der Welt noch mit mir. In gewisser Weise wünsche ich mir, dass ich die Kraft dazu hätte. Mein Papa hat am Ende, als er mit seinen letzten Atemzügen so langsam wegflog, diesen Frieden gefunden. Das war sehr schön. Das hat er echt wunderschön gemacht.
    Aber auf der anderen Seite möchte ich eben gerne noch lange leben. Und da habe ich Angst, dass Frieden zu schließen bedeutet, sterben zu müssen. Da will ich lieber noch einige Höllenkreise durchsteigen, um weiterzuleben. Mein Gott, was rede ich da jetzt? Höllenkreise? Das ist jetzt, glaube ich, schon sehr komisch. Na, ich höre mal auf. Gute

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