So schön wie hier kanns im Himmel gar nicht sein!: Tagebuch einer Krebserkrankung (German Edition)
sakramentale Substanz. Wer das heute merkt, sind weniger die Menschen als die Bäume.«
Da stocke ich natürlich und denke: Ja, ja, dann geh mal zu deinen Bäumen da. Das ist mir zu esoterisch. Das ist etwas für verklemmte Weicheier, die alles so weich gespült wie möglich haben wollen, auch wenn das Leben ganz anders läuft.
Aber gut, vielleicht sollte ich mich auch mal darauf einlassen, den Bäumen zuzuhören. Ich will das nicht mehr einfach abkanzeln. Es hängt vom Standpunkt ab, vom Blickwinkel, der ständig wechseln kann. Ich wechsle zurzeit permanent meine Perspektive. Gestern dachte ich, ich stehe komplett im Wald, dann kommt ein Professor rein und sagt, er glaube so und so – und plötzlich ist der Wald ein bisschen heller. Ich möchte möglichst vieles gelten lassen. Diese ganzen Beschränkungen, so geht es nicht, es geht nur so, will ich nicht mehr. Da muss ich an dieses Bild denken, das ich heute im Traum hatte: Aino am Strand im Sonnenlicht. Das wäre mir doch früher im Traum nicht eingefallen, würde ich jetzt mal sagen. Ja, so was hätte ich mir nicht träumen lassen. Ich lasse es mir auch nicht träumen, es träumt mich. Ich werde geträumt. Und ich bin froh, dass ich so geträumt werde.
Aber ich glaube, dass ich mehr Zeit brauche. Ruhe und Zeit für all die Dinge, an denen ich früher so schnell vorbeigerast bin. Wobei ich nicht dem »Wir haben es erlebt«-Klub beitreten will, unter dem Motto: Wir waren dabei, wir haben Stalingrad mitgemacht, ein Bein ab, eine Lunge weg. Oder in einem anderen Bild: Wir haben auf der Guillotine gelegen, guckt mal, Sensation, ist nur der halbe Hals ab, wir haben noch mal Glück gehabt.
Nein, der Punkt ist: Es gibt für mich etwas zu lernen und es gibt auch etwas daraus zu folgern. Es gibt die Aufgabe, Freiheit wahrzunehmen und neu zu definieren, es gibt wohl auch zu lernen, großzügiger zu sein. Schön wäre auch, wenn ich genug Zeit geschenkt bekäme, irgendwann auch anderen Menschen helfen zu können. Vielleicht mit einem anderen Krebskranken, einemAids- oder ALS-Patienten zu sprechen und ihm zwar nicht die Angst zu nehmen, aber zu helfen, mit diesen Schocks, mit dieser Ungewissheit umgehen zu lernen. Wenn ich wieder gesund werden sollte, will ich die Sache nicht einfach abhaken und verschreckt wegrennen, mit der Erklärung: Huch, Krebs, das ist schlimm für dich, ja, tut mir auch leid, kenn ich, aber ich kann mich leider nicht mit dir beschäftigen, weil mich das persönlich zu sehr belastet. Das wäre Selbstbetrug, das wäre total verlogen. Genauso verlogen, wie sich hinterher mit einem Champagnerglas vor die Kameras zu stellen, auf Promi zu machen und Geld zu sammeln für irgendeine Krebsstiftung.
Das ist natürlich Quatsch: Wenn jemand Geld sammelt für jemanden, der es gebrauchen kann, oder für eine Stiftung, die etwas Sinnvolles unterstützt, dann ist es egal, ob der blöd aussieht, doofe Filme macht oder nur Scheiße im Kopf hat. Ist doch alles okay.
Ich glaube aber trotzdem, dass man mehr tun kann. Man kann versuchen, die Verblödung, mit der Krankheit, Leiden, Sterben und Tod in unserer Gesellschaft diskutiert wird, wenigstens im Kleinen ein wenig aufzuhalten. Denn gequatscht wird ja ununterbrochen, das ist ja gar nicht zu fassen, wie viel Blödsinn geredet und geschrieben wird übers Dahinvegetieren, über die Würde, die angeblich verloren geht, wenn man nicht mehr alleine scheißen gehen kann oder was weiß ich. Was sind denn das für armselige Vorstellungen von Freiheit und Würde? Man muss sich doch mal ernsthaft über den Begriff des Leidens Gedanken machen und sich fragen, was das eigentlich für ein Moment ist, an dem man wirklich leidet.
Man muss auch schauen, wie die Realität aussieht, wie denn die meisten Menschen eigentlich sterben. Man kennt ja durch die Medien fast nur die Horrorvisionen: Ersticken, Husten, aus dem Mund bluten, Bauch noch was, ein paar Totaloperationen, ein bisschen Morphium und das war es dann. Alles ganz schrecklich. Aber es sterben doch nicht alle Leute so. Das glaube ich nicht. Es kann doch nicht sein, dass jeden Abend hier in Deutschland soundso viele Menschen in der Klinik an Schläuchen hängen und nach endlosen Leidenswegen auf den Tod warten. Natürlich sind da Leute dabei, die Herzinfarkte oder Schlaganfälle hatten, klar. Aber ich kann mir nicht vorstellen, dass alle Menschen, die Krebs haben, so leiden müssen. Das muss man unbedingt viel deutlicher in die Öffentlichkeit bringen, dass das auch anders
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