So schön wie hier kanns im Himmel gar nicht sein!: Tagebuch einer Krebserkrankung (German Edition)
Irgendwie bin ich erkaltet. Nicht müde oder kaputt, sondern richtig regungslos und steif. Ich habe auch keinen Hunger mehr. Mein Magen ist so groß wie ein Daumen, ich kriege überhaupt nichts mehr runter. Selbst die Astronautenkost nicht, die ich mir habe kommen lassen. Heute Abend hat Rosi eigentlich ganz toll gekocht. Aber auch das kriege ich kaum runter, obwohl es lecker riecht und schmeckt.
Mein Gott, wenn ich da an meinen Vater denke. Er konnte das Essen ja noch nicht einmal mehr sehen.Aber wenn er meinte, es sei alles so fad, dann habe ich ihn angebrüllt: »Das ist doch lecker. Probier doch hier noch mal. Das ist doch fein, das ist doch fein.«
Gestern habe ich wirklich wieder daran gedacht, wie man möglichst gut und schnell von der Bildfläche verschwindet, und habe mir Sterbehilfe-Seiten im Internet angeguckt. Da war mir aber glücklicherweise gar nicht wohl mit. Außerdem will ich doch nur, dass ich keine Schmerzen habe, und das geht doch heutzutage mit dieser Palliativmedizin, das ist auch religiös völlig in Ordnung. Aber wenn man immer wieder so Geschichten hört, was Krebspatienten oder HIV-Patienten angeblich durchstehen müssen – das ist doch alles unfassbar. Vielleicht ist es auch die Erschöpfung, das kann ja sein, sicherlich ist es die Angst vor der Chemo. Ich habe gestern und heute viel rumtelefoniert, um eine Alternative zu finden, weil ich die Chemo auf gar keinen Fall in Zehlendorf machen will. Das ist jetzt klar. Da fühle ich mich einfach erniedrigt: »Keine Gnade« … »volle Kanne« … »Sie werden jetzt gesurft« …
Nein, so geht das nicht! Und wenn ich jetzt überlege, wie ich aus diesem Leben verschwinden kann, dann hat das nichts mit einer Liebe zum Tod zu tun, im Gegenteil, im absoluten Gegenteil. Es hat damit zu tun, dass ich das Leben leben will, aber eben nur zu bestimmten Konditionen. Das Problem ist, dass man sich diese Konditionen im Moment noch nicht einmal vorstellen kann, also auch nicht festlegen kann, weil man nicht weiß, was bei der Chemo und bei der Bestrahlung auf einen zukommt. Ach Mann, ich weiß es nicht. Ich bin einfach hin und her.
Ein Horrorgemälde hängt an der Wand.
Man hat natürlich an drei Baustellen gleichzeitig zu tun. Die eine ist: Ich bin 47 und dachte, es gehe jetzt so weiter – stattdessen wird man komplett rausgerissen aus seinem normalen Leben. Die zweite Baustelle ist: Man muss die Operation verdauen, sich aber gleichzeitig schon mit dieser Chemo beschäftigen, die als Horrorgemälde an der Wand hängt. Und die dritte Baustelle ist natürlich die Frage:Was kommt dann?
Jemand sagte gestern, der Riss meiner Narbe am Rücken sei wahrscheinlich viel, viel kleiner als der Riss durch die Seele. Das stimmt, glaube ich. Und das Schlimme ist, dass man deshalb die guten Momente gar nicht mitkriegt. Heute Morgen zum Beispiel: Da schien die Sonne, Aino kam in mein Bett und wir haben zum ersten Mal nach der OP wieder gevögelt. Zwar nur im Stehen, weil es im Liegen noch nicht geht, das tut weh. Aber im Stehen klappte es wunderbar, war toll und superschön.
Alles für die Zukunft Erträumte ist ausgeträumt.
Aber dann kommt wieder diese unendliche Steifheit in mich reingekrochen, diese Unfähigkeit, irgendetwas zu machen, und ich verstehe es nicht. Ich habe das Gefühl, ich bin dem allem nicht gewachsen. Ich finde das Leben gut, aber ich habe im Moment überhaupt keinen Zugang dazu. Wenn ich doch nur wüsste, von wem und wofür ich hier einen Kampfauftrag habe. Gut, ich sage, dass ich mich selbst mehr liebhaben will.Also kämpfe ich für mich.Auf der anderen Seite sage ich mir, dass ich zu egoistisch oder zu egozentrisch war, zu viel Rambazamba veranstaltet habe. Dass ich mich nicht so wichtig nehmen sollte. Ist doch ein totaler Widerspruch.
Das Schlimmste ist, glaube ich, dass alles Fiktive, alles für die Zukunft Erträumte ausgeträumt ist. Im Moment ist alles endlos real und damit komme ich nicht klar. Sich etwas auszudenken, sich etwas auszumalen, von mir aus auch Illusionen zu haben – das ist alles ein großer Glücksrausch, auch wenn ich ihn nicht immer als Glück wahrnehmen konnte. Und jetzt ist man 47 und soll denken: Sei froh, dass du lebst, und genieß jeden Tag als sei er dein letzter.
Ach, ist das alles eine Scheiße! Ist das alles eine Scheiße!
[ Menü ]
Mittwoch, 20. Februar
Es ist viel passiert, seitdem ich das letzte Mal in das Gerät gesprochen habe. Ich weiß gar nicht, wie ich das rückwirkend alles erzählen
Weitere Kostenlose Bücher