So schön wie hier kanns im Himmel gar nicht sein!: Tagebuch einer Krebserkrankung (German Edition)
soll, will ich auch gar nicht. Jedenfalls war jeden Tag etwas los, immer Halligalli. Ich habe viele Leute getroffen und viel, viel, viel telefoniert, immer unter unheimlichem Druck. Wie ein Gejagter führe ich mich auf, hat Aino gesagt. Das stimmt auch. Und alle wollen helfen. Aber ich begreife eigentlich gar nichts mehr. Ich bin immer nur froh, wenn ich gleich allen Leuten mitteilen kann, was wieder Tolles in Aussicht steht. Gleichzeitig habe ich in den letzten vier, fünf Tagen immer öfter daran gedacht, mich entweder halb zu vergiften, damit man mich findet und in eine Klinik einweist, oder mich so zu betäuben, dass ich nicht mehr viel mitkriege, einfach nur schlafe und abtauche, oder mich wirklich komplett wegzubeamen.
Aber heute war zum ersten Mal wieder ein ganz guter Tag. Beim Aufwachen ging es erst einmal los mit Heulen, mit diesem Gefühl der absoluten Unbegreiflichkeit. Nach einer halben Stunde habe ich Kirchenglocken gehört. Da habe ich mich aufgerafft und bin zu dieser Kirche gelatscht. Sankt Josef heißt sie, glaube ich, eine ziemlich große Kirche; und vorne am Altar stand ein alter Pastor, der gestützt werden musste, sonst wäre er umgefallen. Ein paar Nönnekes und viele alte Frauen im Rollstuhl saßen da, die um eine Schwester Julia trauerten.War also eine Totenmesse. Die Messe hatte schon angefangen, aber sie waren erst bei der Lesung, in der es natürlich auch um Jesus ging. Er habe wie diese verstorbene Schwester Julia den Menschen gedient, sein Leben lang, bis ans Kreuz. Anderen zu helfen und zu dienen sei sein Auftrag und auch der von Schwester Julia gewesen. Da schießt einem natürlich sofort die Frage durch den Kopf, ob man selbst denn ein sinnvolles Leben geführt hat, ob man seinem Auftrag gefolgt ist. Ob es nicht ein besseres Leben gewesen wäre, wenn ich mich irgendwie mehr engagiert hätte. Statt am Ende zu sagen: Ich habe vierzig Opern inszeniert. Ich weiß auch nicht, aber ich habe ein solches Bedürfnis, noch etwas Sinnvolles zu tun! Denn tief in meinem Inneren glaube ich, dass es sich noch um zwei oder drei Jahre handelt, die ich auf der Erde bin. Ist komisch, aber das spüre ich so.
Dann habe ich die Kommunion empfangen und habe Gott und Jesus und Maria um Erlösung gebeten. Schon auf dem Weg nach Hause habe ich gemerkt, dass ich ruhiger war. Zu Hause habe ich mich ins Wohnzimmer gelegt und bin entspannt eingeschlafen. Merkwürdig war das. Als wäre durch die Kommunion, durch das Empfangen des Leibs Christi wirklich Frieden in mir eingekehrt. So ist der Tag tatsächlich verhältnismäßig angstfrei abgelaufen. Und mit dieser Vorstellung von zwei bis drei Jahren habe ich zumindest eine Perspektive, wo ich mir sagen kann: Dann genieß das jetzt noch, Junge. Genieß es einfach.
Was bleibt denn dann, wenn man tot ist?
Später kam mir dann in den Sinn, dass ich mich komplett verabschieden muss von meinem früheren Leben, was mir natürlich unglaublich schwerfällt. Denn ich finde doch, dass ich viele tolle Sachen machen durfte. Ich habe es oft nicht richtig genießen können, weil ich zu wenig Pausen gemacht habe, aber eigentlich war es eine großartige Zeit. Die ist nun vorbei. Im Moment habe ich das Gefühl, dass ich weggehen sollte aus Berlin, aufs Land ziehen und der Natur zuschauen sollte. Dann denke ich was, gucke Filme, lese oder höre Musik. Vielleicht pflanze ich sogar etwas, warte und schaue, und dann ernte ich. Das sind alles Ideen, die einem durch den Kopf schießen, vielleicht sind sie bescheuert, aber sie sind da.
Es gibt auch immer wieder den Blick auf die eigenen Arbeiten, es taucht immer wieder die Frage auf: Was bleibt denn dann, wenn man tot ist? Die Leute wenden sich ganz schnell anderen Dingen zu. Und selbst wenn ich mit meinen Sachen einige Zeit im Gedächtnis bleiben sollte – das ist doch kein Grund, solche Arbeiten zu machen. Es muss doch noch einen anderen Grund geben. Am Anfang war das ja meine Hoffnung, dass ich zu der Essenz vorstoße, dass ich einen Grund finde. Tja, jetzt habe ich einen Grund in mir selbst, aber der ist so tief, dass man kaum noch aufsteigen kann. Ach Mann, ist das alles furchtbar.
Aber es nutzt ja nichts. Es ist eben so. Wenn es tatsächlich nur zwei oder drei Jahre werden sollten, dann muss man die eben genießen. Hört sich gar nicht so schwierig an, aber wenn solche Gedanken konkret werden, ist das ganz schön komisch. Ich habe eben mal im Internet nach Häusern auf dem Land geguckt. Da stand bei einer Anzeige:
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