So schön wie hier kanns im Himmel gar nicht sein!: Tagebuch einer Krebserkrankung (German Edition)
»Begrenzt bis 2011, verhandelbar«. Da habe ich gleich gedacht, 2011, das geht doch wunderbar. Länger muss es doch gar nicht sein.Wenn das nicht zum Heulen ist.
Na ja, jedenfalls war heute eigentlich kein schlechter Tag, kann man sagen. Wenig reden, wenig Leute, mehr mit sich und zum ersten Mal der Gedanke, dass das Leben vor der Krankheit wirklich vorbei ist. Ob man will oder nicht, da kommt man nicht mehr hin. Man hat jetzt etwas anderes. Das ist ein neuer Weg und der muss jetzt gefunden und gegangen werden. Nicht als Befehl – das muss wachsen, aus mir rauskommen, und nicht wieder nur als Sensation, als Bonbon da rumliegen. Das muss wachsen wie bei einer Schwangerschaft.
Trotzdem bin ich neidisch auf die, die einfach so weitermachen können: Inszenieren, Premieren, Interviews, Kritiken, Auseinandersetzungen, Besetzungen, neue Auseinandersetzungen, abends noch schön was trinken und essen, dann vielleicht noch ein bisschen Familie, wenn sie es schaffen. Das ist bei mir ab jetzt leider alles anders, vielleicht auch Gott sei Dank anders, das weiß ich noch nicht. Das weiß ich eben noch nicht.
Ich erinnere mich, dass ich letztes Jahr schon des Öfteren an Rainer Werner Fassbinder denken musste. Dessen Leben hat sich am Ende immer schneller, schneller, schneller gedreht und dann ist er einfach umgefallen. Bei mir ging es auch immer schneller und ich bin auch umgefallen, aber ich lebe noch. Das ist der Unterschied. Was jetzt besser ist, weiß ich nicht.
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Donnerstag, 21. Februar
Der Tag heute war eigentlich auch gar nicht so schlecht. Ich bin weiterhin eher ruhig geblieben, habe nicht so viel telefoniert und auch nicht so viel geweint. Ich hatte sogar zwei Momente, bei denen ich wieder etwas Kraft in mir gespürt habe. Momente, bei denen ich ein wenig aus mir heraustreten und befehlen konnte: Christoph, du musst essen! Steh jetzt auf! Aber das ist wirklich nicht einfach.
Mittags kam die Atemtherapeutin. Das war interessant. Erst habe nur ich geredet, wie ein Wasserfall. Aber sie war klasse, weil sie meinen Redeschwall immer wieder so wendete, dass sie ihre Sache anbringen und mir die Funktion des Atems erklären konnte. Er sei ein stabilisierendes Element, auch für die Seele, meinte sie, man könne sich selbst durchlüften durch die richtige Atmung, sich auch einen Halt in der Welt verschaffen.
Vor zwei Monaten hätte ich das ja noch nicht einmal im Ansatz akzeptiert, da hätte ich gedacht, das sei ballaballa. Aber jetzt hilft mir das tatsächlich. Heute bin ich zum ersten Mal durch die Wohnung gelaufen, von links nach rechts, von vorne nach hinten, ohne außer Atem zu sein. Ich glaube, dass das noch richtig gut wird. In einem halben Jahr werde ich wissen, wie ich gehen muss: ein bisschen gestreckter, ein bisschen mehr die Schultern nach hinten, damit die Spannung und der Schmerz nachlassen. Außerdem verheilt das ja immer mehr, der Stausee links wird sicher demnächst auch nicht mehr so glucksen. Da bin ich wirklich optimistisch.
»Und sprich nur ein Wort, so wird meine Seele gesund.«
Nach der Therapiestunde bin ich nachmittags noch einmal zu einer Messe in Sankt Josef gegangen, weil mir das gestern so gutgetan hatte. Diesmal musste ich ein wenig weinen, aber nur ganz leise und ganz kurz. »Und sprich nur ein Wort, so wird meine Seele gesund« – das war der Satz, bei dem ich plötzlich anfing zu weinen. Die Kommunion zu empfangen, war auch wieder gut. Mich beruhigt dieser Vorgang, für mich ist er Seelenbalsam.
Danach bin ich direkt in ein Café, habe mir ein Teilchen reingezwängt und einen Latte macchiato getrunken, ein bisschen Zeitung gelesen und in dem Buch über Engel geblättert, das mir eine Freundin geschenkt hatte. So was hätte ich ja früher auch niemals gelesen.Anschließend bin ich ein wenig durch die Straßen gelaufen und habe beim Gemüsehändler eingekauft. Für 10,16 Euro – das weiß ich noch genau. Es war vielleicht der schönste Einkauf meines Lebens. Komisch, ich habe Glück empfunden, weil ich Sellerie, Paprika, Karotten und solche Sachen eingekauft habe. Glück, aber auch ein wenig Mut. Man wird so ängstlich und schüchtern, man schämt sich fast, wenn man krank ist. Vielleicht weil man an dieser rasenden Gesellschaft nicht mehr teilnehmen kann. Da braucht es plötzlich Mut, schon alleine, um einkaufen zu gehen.
Dieser Einkauf war jedenfalls etwas ganz Besonderes. Zu Hause habe ich mir dann irgendwann Gemüsesäfte mit Leinöl gemacht, auch das war toll und
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