So schön wie hier kanns im Himmel gar nicht sein!: Tagebuch einer Krebserkrankung (German Edition)
passiert. Natürlich nicht immer zur Freude aller anderen. Aber in diesem Fall hier war es zulässig zu schlafen. Aino erzählte mir, dass ich dabei unglaublich aktiv gewesen sei. Ich habe wohl mit den Händen gefuchtelt, ganz viel gebrabbelt, auch geschnarcht. Als ich fertig war, hat mich Aino noch auf mein Zimmer begleitet, bis 19 Uhr war sie da und ist dann gefahren. Es war wunderschön, dass sie dabei war.
Heute Abend ist eigentlich alles okay. Die sogenannten Nebenwirkungen sollen eh erst in ein paar Tagen kommen. Ich denke, ich habe ein bisschen Bauchdrücken, vielleicht sind es auch nur Blähungen. Ich will mich aber jetzt nicht groß beobachten. Ich glaube, es läuft gut. Heute Morgen gab es noch eine lustige Situation. Als ich aus der Dusche kam, schwammen meine Hausschuhe durchs Zimmer bis zur Heizung rüber. Da war alles Wasser aus der Dusche ausgetreten und in den Raum reingelaufen. Zwei Krankenschwestern kamen mit einem Gerät, um das Wasser abzusaugen, und im Laufe des Tages ist wohl auch ein Techniker gekommen, der die Sache repariert hat. Irgendwie war das verrückt: Ich stehe unter der Dusche, bemühe mich, keine Panik zu kriegen, und sage mir, sei ruhig, entspann dich und schau einfach, wie der Tag wird – und dann ist mein Zimmer plötzlich ein Schwimmbad.
Aber sonst ist alles im positiven Bereich. Die da oben, die werden organisieren, dass das hier nicht zu schmerzhaft und zu katastrophal wird. Da habe ich drum gebeten. Jetzt werde ich morgen noch mal Atemtherapie machen, übermorgen noch mal Gymnastik bzw. Massage, und dann darf ich wieder nach Hause. Mit Aino gemütlich in unserem neuen Bett zu liegen – darauf freue ich mich schon. Also, gute Nacht. Es war ein guter Tag.
[ Menü ]
Freitag, 11. April
So, jetzt ist die erste Chemo drin. Ich werde heute entlassen. Aino holt mich gleich ab und dann gehe ich mal kurz in der Deutschen Oper gucken. Da findet wohl heute ein Durchlauf statt. Alle sagen, du fehlst uns so. Wichtig ist aber, das ist und bleibt eine Fremdoper. Sie ist mit 180 000 Menschen gespickt. Selbst wenn ich da jetzt noch fünfmal auftauche, meinen Balsam abgebe und päpstlich von der Kanzel herunterwinke und denke, na ja, die da unten müssen aber noch ein bisschen üben, bevor sie in den Himmel kommen – mich gibt es dort nicht. Ich bin nicht zuständig für den Apparat da, oder für irgendeine Familie Braunfels, die am Ende nichts anderes will, als dass der Opa als Komponist endlich mal zu seinen Ehren kommt. Auch wenn sie nach meinen Aufzeichnungen inszenieren: Ich glaube an das Zusammenspiel von Menschen und von diesem Zusammenspiel bin ich ausgeschlossen. So kommt es mir vor …
Körperlich hat sich nach der Chemo eigentlich nichts Großartiges eingestellt. Ich bin vielleicht ein bisschen müde, habe aber auch Energieschübe. Meine Stimme ist etwas heiser, das liegt wohl daran, dass sich mein Pinkeln noch nicht richtig reguliert hat. Um das wieder hinzukriegen, habe ich aber schon eine Spritze bekommen, die kümmern sich hier wirklich großartig um alles.
Die Klinik ist überhaupt ein neues Erlebnis für mich. Es liegen fast nur alte, sehr kranke Leute hier, die unheimlich viel husten und röcheln, nach Hilfe rufen. Nachts finden auf dem Gang immer wieder lautstarke Diskussionen statt, weil der ein oder andere verwirrt rumläuft oder weil die Schwester nicht schnell genug kommen kann. Ist schon ganz schön heftig hier, aber ich finde das gar nicht so schlecht. Das sind eben Leute, die einen anderen Zwischenstand der Dinge haben. Eben habe ich einem Mann zugehört, der mit Freunden telefonierte und erzählte, dass er morgen wieder zum CT müsse und auch nicht wisse, wie das jetzt hier weitergehe.Wenn ich solche Gespräche höre, stelle ich mir vor, dass diese Menschen ihren Leuten auch von ihren Erkenntnisprozessen berichten. Dass sie erzählen, wie sie gerade in einen anderen Zustand reisen und wie sich die Zeit dehnt. Und auch wenn sie nicht drüber reden sollten – sie haben genauso viel Angst wie ich, nehmen andere Dinge wahr und wissen genauso wenig wie ich, was sie da eigentlich wahrnehmen müssen. Davon bin ich fest überzeugt.
Nun ist es halb elf Uhr vormittags, ich warte auf Aino und höre aus dem Nebenraum merkwürdige Geräusche. Da findet ein Kurs »Eurythmisches Musizieren« statt. Was das nun wieder ist, weiß ich noch nicht. Nächstes Mal will ich aber mal dran teilnehmen, ich bin richtig neugierig.
Vielleicht erreiche ich ja jetzt eine neue
Weitere Kostenlose Bücher