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So schwer, sich leicht zu fuehlen

So schwer, sich leicht zu fuehlen

Titel: So schwer, sich leicht zu fuehlen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Deborah Rosenkranz
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dem Essen immer auf die Toilette, um jede Mahlzeit sofort wieder loszuwerden! Es war ein richtiger Klassentrend geworden, über den man ganz offen sprach. Ein ganz verzweifeltes Mädchen meinte: „Weißt du, wenn mal nicht alles rauskommt, dann stecke ich mir einfach die Zahnbürste in den Hals.“
    Auch Abführmittel, Apfelessig und Nulldiät waren beliebte Methoden meiner Klassenkameradinnen, um abzunehmen, und in den Pausen gab es kein anderes Thema.
    Estelle war da sehr cool, sie hatte schon lange zu sich selbst gefunden, und aus ihrer Sicht waren diese Mädchen einfach unreif. Ich bewunderte sie dafür. Irgendwie hatte ich aber das Gefühl, meine Klassenkameradinnen wären in „mein Gebiet“ eingedrungen. Ich wusste doch, wie das mit dem Abnehmen geht, nicht sie! Nur sah es mit meinem Gewicht nicht gerade danach aus, als hätte ich Ahnung vom Abnehmen, und von meiner Erfahrung mit der Magersucht wollte ich ihnen gar nicht erst erzählen. Wie lächerlich hätte das auch geklungen bei meinem Aussehen? Mittlerweile war ich ja ziemlich in die Breite gegangen und hüllte meinen Körper in weite Kleidung, die zu dem Zeitpunkt zum Glück total angesagt war.
    So schwieg ich also und fing heimlich an, sie um ihre Krankheit zu beneiden, da sie eindeutig besser aussahen als ich!
    Schon bald hatten die anderen mich mit ihrem Schlankheitswahn wieder angesteckt. Ich versuchte es anfangs mit Apfelessig, obwohl ich es total eklig fand, auf nüchternen Magen so ein furchtbares Zeug zu trinken. Doch ich genoss es mittlerweile wieder so sehr, gemeinsam mit meiner Familie zu essen, dass da kein Mittelchen gegen meine Kilos geholfen hätte.
    Als ich eines Abends dann wieder einmal über die Stränge geschlagen war und Angst vor der feindlichen Zahl auf der Wage bekam, reichte es mir. Ich musste wohl auch lernen, mir nach dem Essen den Finger in den Hals zu stecken. Damit sich das auch richtig lohnen würde, stopfte ich also noch mehr Essen in mich hinein – einfach alles, was aufzufinden war, querbeet durch den Kühlschrank! Dazu trank ich immer wieder Wasser, weil ich gehört hatte (und mir auch vorstellen konnte), dass das den Vorgang des Erbrechens vereinfachen würde.
    Dank meiner essgestörten Freundinnen hatte ich schon recht viel Ahnung von Bulimie, bevor ich überhaupt selbst da reinrutschte. Ich vergewisserte mich, dass niemand in der Nähe war, und schloss mich im Bad ein. Dann ließ ich laute Musik laufen, und zur Sicherheit drehte ich noch den Wasserhahn auf. Vorsichtig beugte ich mich über die Kloschüssel und steckte mir den Finger so tief es ging in den Hals, bis ich würgen musste. Dazu drückte ich mir mit der Hand auch noch fest in den Magen, was das Ganze noch verstärkte. Meine halbe Hand im Mund, spürte ich, wie mein Körper zu beben begann und dann ... na ja, wie es halt so ist, wenn man sich übergibt.
    Ich war überglücklich! Doch da war sicher noch mehr. Wie in Ekstase wiederholte ich den Vorgang. Das Bad stank schrecklich nach Erbrochenem, was es mir leichter machte. Ich war wie besessen von dem Wunsch, noch mehr zu brechen, um ja jede Kalorie loszuwerden! Immer wieder musste ich pausieren, weil mir schwindlig wurde, doch ich gab nicht auf, bis ich das Gefühl hatte, ganz leer zu sein.
    Jetzt drehte sich alles um mich. Ich sah Sternchen und musste mich auf den Fußboden im Bad legen, da ich keinen Meter hätte gehen können. Mein Kopf hämmerte so laut, dass ich Angst bekam. Was hatte ich meinem Körper da angetan?
    Als ich mich wieder aufrichten konnte, erschrak ich beim Anblick meines Spiegelbildes! Ich hatte tiefe Augenränder, und meine Augen waren knallrot! Vor lauter Druck waren sämtliche Äderchen geplatzt, und ich hatte leichtes Nasenbluten.
    Plötzlich machte ich mir auch Gedanken um meine Stimme. Könnte ich mir mit der Kotzerei vielleicht meine Stimmbänder beschädigen und meine Stimme ruinieren?
    Ich fühlte mich komisch, schwankte zwischen der Freude darüber, dass ich alles losgeworden war und in Zukunft essen könnte, ohne dick zu werden, und der Angst vor den Nebenwirkungen. Die Aussicht, alles in mich hineinstopfen zu dürfen und dennoch schlank zu sein, war zu diesem Zeitpunkt total verlockend.
    Doch dieser Höhenflug hielt nicht lange an. Schon bald nach dieser Prozedur ging das Ganze von vorne los. Mein Magen, der mittlerweile ja komplett leer war,

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