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So schwer, sich leicht zu fuehlen

So schwer, sich leicht zu fuehlen

Titel: So schwer, sich leicht zu fuehlen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Deborah Rosenkranz
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Lektion gelernt und nie wieder ein Mädchen beleidigt.
    Auch wenn ich nach außen hin stark wirkte, litt ich furchtbar unter solchen Bemerkungen. Die Bulimie hatte mich immer noch fest im Griff. Und immer war da diese Angst, es könne mich jemand hören. Oder was, wenn ich nicht rechtzeitig auf Toilette kam und schon die Hälfte von dem verdaut hatte, was ich in mich hineinstopfte? All das stresste mich total. Dann kamen noch die ständigen Kopfschmerzen hinzu und die Angst um meine Stimme.
    Manchmal spuckte ich nach dem Erbrechen Blut. Ich hatte solch eine panische Angst davor, dadurch möglicherweise meine Stimme zu verlieren, dass ich mir dann gleich die Zähne putzte und anfing zu singen, nur um zu sehen, ob alles in Ordnung war.
    Auf die Dauer war mir das alles zu riskant und zu anstrengend. Lieber wollte ich wieder magersüchtig sein. Schlank und diszipliniert. Es machte für mich mehr Sinn, wieder weniger zu essen, und es ging tatsächlich schneller, als ich gucken konnte, bis ich in mein altes Muster zurückgefallen war!
    Ich fand es natürlich toll, wieder schlank zu sein, doch gleichzeitig bedrückte es mich auch, dass irgendwas so eine starke Macht über mich und meinen Körper hatte, das ich selber nicht im Griff hatte. Ob ich nun kotzte, fraß oder hungerte, normal war das ja alles nicht. Ich kannte kein normales Essverhalten mehr, nur noch diese krankhaften Extreme. Einfach mal eine gesunde Mahlzeit zu mir zu nehmen, eine Portion, die mich weder aushungerte noch überfüllte – ich konnte mich nicht erinnern, wann das das letzte Mal der Fall gewesen war.
    Die Krankheit hatte mich komplett von der Außenwelt isoliert und total verändert. Eigentlich lebte ich nicht mehr mein Leben, sondern die Krankheit lebte mich. Jeder Gedanke drehte sich nur ums Essen oder Nichtessen, ich stand permanent unter Stress. Die Déborah, die immer so lebensfroh gewesen war, war wie ausgelöscht. Die Déborah, die für jeden Streich zu haben war, hatte anderes zu tun. In meinem Inneren herrschte ein großes Chaos, und eigentlich hatte das alles den Grund, dass ich meinen Wert auf mein Äußeres reduziert hatte. Alles drehte sich nur um mein Gewicht, mein Aussehen, die Reaktion anderer Menschen auf mich. Aus meiner verdrehten Sicht war ich entweder schlank und damit automatisch liebenswert, oder dick und damit wertlos.
    Die Pausen in der Schule waren schrecklich, weil ich meiner Freundin Estelle neidvoll dabei zusehen musste, wie sie eine leckere Käse-Schinken-Seele (so heißt das Brot im Schwabenland) essen konnte, während ich auf meinem Kaugummi rumkaute und überlegte, ob ich mir die Kalorienmenge eines zweiten zuckerfreien Kaugummis leisten dürfte.
    Immer wieder versuchte Estelle, mich zum Essen zu motivieren, doch meine Antwort lautete immer: „Nein, ich muss abnehmen.“
    Eigentlich bewunderte ich Estelle und war ein wenig eifersüchtig auf sie. Egal wo sie hinkam, sie stand im Mittelpunkt. Alles drehte sich um sie, und ich träumte davon, auch so viel Aufmerksamkeit zu bekommen. Dabei war ich ja mal genauso ein Menschenmagnet gewesen. Aber was war mit mir geschehen? Seit ich meine Essstörungen hatte, war ich nur noch müde und schlapp und wollte nicht mehr unter die Leute. Ich stand – in Realität oder meinem Gefühl nach –in der Ecke und schaute den anderen beim Leben zu.
Radtour des Grauens
    Das Einzige, wofür ich noch Anerkennung bekam, war meine Stimme. Schon im Musikunterricht war ich regelmäßig gebeten worden, zu singen. Ich schämte mich unendlich und hatte solche Angst davor, vor der ganzen Klasse zu stehen und einfach drauflos zu singen, dass ich mich tatsächlich hinter der Tafel versteckte und von dort aus den Lieblingssong der Klasse sang: „So close“.
    Interessanterweise war das ein Titel von Hillsong , einer Musikakademie in Australien, an der ich Jahre später Musik studieren sollte. Es sprach sich ganz schnell rum, dass ich singen konnte. So kam es auch, dass die Lehrer mich baten, am Tag der offenen Tür ein paar Songs zum Besten zu geben. Zwar wurde mir regelrecht übel bei dem Gedanken, vor so vielen Menschen aufzutreten, doch ich musste das durchziehen. Ich wollte auch mal beachtet werden! Und es tat mir so gut zu hören, dass es Menschen gab, die an mich glaubten und mir etwas zutrauten.
    Der Techniker an diesem Tag war ein sehr gut aussehender Südländer, der

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