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So sollst du schweigen: Roman (German Edition)

So sollst du schweigen: Roman (German Edition)

Titel: So sollst du schweigen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clara Salaman
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Anzünden seiner Zigarette beschäftigt war. Währenddessen hörte ich hinter mir die Tür aufgehen und drehte mich um.
    Beim Anblick der Gestalt fuhr ich vor Schreck zusammen und riss dabei den Nachttisch um, sodass die Lampe polternd zu Boden fiel und erlosch, dicht gefolgt vom Wasserkrug. Mir standen die Haare zu Berge, und ich spürte, wie eine eisige Kälte meinen Körper durchströmte.
    Sie stand in einem langen Kleid mit einem Tablett in der Hand im Türrahmen, wie gewohnt kerzengerade, das Haar zu einem straffen Knoten im Nacken frisiert und mit der strengen Miene, die mir nur allzu vertraut war.
    Es war der Geist von Miss Fowler.
    Sie rührte sich nicht vom Fleck. Ich war ebenfalls zur Salzsäule erstarrt, und mein Herz schien stillzustehen. Im nächsten Moment spürte ich, wie meine Knie und meine Hände zu zittern begannen. Mir war noch nie zuvor ein Geist begegnet.
    »Wer sind Sie?«, stieß sie aufgebracht hervor. »Was haben Sie hier zu suchen?«
    Die Stimme war mir so vertraut wie meine eigene. Konnten Geister sprechen?
    Sie machte einen Schritt auf mich zu. Erschrocken wich ich zurück und zog mich sicherheitshalber auf die andere Seite des Bettes zurück, aus Angst, sie stürze sich jeden Moment auf mich. Als könnte mich dieser alte Mann beschützen! Ich bekam keinen Ton heraus, sondern stand da, halb in der Erwartung, dass sie vom Boden abhob und geradewegs auf mich zugeflogen kam. Stattdessen bückte sie sich und stellte das Tablett auf dem Boden ab, ehe sie den Nachttisch wieder aufrichtete und die Zigarettenstummel einzusammeln begann. Sie stellte das Tablett auf dem Nachttisch ab und nestelte an der Lampe herum. Nach mehreren Versuchen flammte das Licht auf. O Gott. Es war Miss Fowler, scheinbar keinen Tag älter als damals.
    »Wer sind Sie?«, fragte sie erneut. »Antworten Sie! Wer sind Sie?«
    Ich konnte nicht fassen, dass sie mir diese Frage stellen musste.
    »Wer ich bin?«, fragte ich. »Erkennen Sie mich denn nicht wieder?«
    Sie beäugte mich argwöhnisch. Meine Kehle fühlte sich staubtrocken an. Am liebsten hätte ich mir ein Glas Wasser aus dem Krug des alten Mannes eingeschenkt, wagte es jedoch nicht, den Blick von ihr zu lösen.
    Miss Fowler musterte mein Gesicht, als hätte sie eine mangelhaft erledigte Hausaufgabe vor sich, als etwas in ihren Zügen aufflackerte – sie hatte mich erkannt.
    »Gütiger Himmel!«, sagte sie. »Carolyn!« Sie bleckte die Zähne.
    Nichts hätte niederschmetternder sein können als dieses eine Wort. Carolyn? Carolyn? Sie hatte meinen Namen falsch ausgesprochen. Diese Frau, die mich an den Rand der Verzweiflung – und sogar darüber hinaus – getrieben, die meine Seele in jeder erdenklichen Weise zerstört, die ich mit jeder Faser meines Herzens gehasst hatte; diese Frau, die ich ermordet und dafür gebüßt hatte; diese Frau, meine Nemesis – sie kannte nicht einmal mehr meinen Namen!
    Ich fühlte mich, als wäre ich von einem Laster überfahren worden, und schüttelte in fassungsloser Ungläubigkeit den Kopf.
    »Nein!«, rief ich und bemerkte, wie schwach meine Stimme klang. »Mein Name ist nicht Carolyn.« Meine Stimme brach. »Sondern Caro line .«
    Tränen der Wut schossen mir in die Augen, und meine Brust fühlte sich an, als würde sie in einen Schraubstock gezwängt.
    »Caroline«, korrigierte sie sich, als wäre es eine Bagatelle.
    »Genau«, stieß ich zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. »Caro line !«
    Wieder verzog sie den Mund zu einem Lächeln.
    »Sie sind doch tot«, fuhr ich fort.
    »Tot?« Sie ließ dieses widerwärtig aufreizende Lachen hören, mit dem sie früher Mr   Mercer zu verzaubern versucht hatte, und warf einen Blick auf den alten Mann im Bett. Ich hörte seine pfeifenden Atemzüge, weigerte mich jedoch, den Blick von ihr, dem Geist, abzuwenden.
    »Sind Sie tot?«, flüsterte ich.
    »Wovon sprichst du?«
    »Ich habe Sie getötet.«
    »Was?«
    »Ich habe gesehen, wie Sie gestorben sind!«
    »Ich kann dir versichern, dass ich lebe.« Sie fand sich auch noch witzig.
    »Ich habe Sie gehasst.«
    »Schulleiterin zu sein, macht nicht unbedingt beliebt!«
    Wieder lachte sie. Sie kokettierte mit dem alten Mann im Bett. Wie konnte sie nur lachen? Das war absolut nicht witzig. Sie lachte mich aus, mein Leben.
    »Sind Sie real?«, fragte ich und trat vorsichtig auf sie zu, in der Erwartung, sie löse sich jeden Moment in Luft auf. Ich musste sie berühren, nur zur Sicherheit.
    Mittlerweile war ein leicht verängstigter

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