So sollst du schweigen: Roman (German Edition)
kahlköpfiger Schwarzer aufhielt.
»Sind Sie Lorrie Fischer?«
»Ja.«
»Heute bin ich Ihr Ansprechpartner. Joe Pearce.«
Er roch nach Chlor. An seiner Schläfe pulsierte eine Vene.
»Hi«, sagte ich. »Was ist mit Steve?«
»Er ist krank geworden. Deshalb habe ich heute die McCauleys übernommen. Basketball. Und dann haben wir noch ein bisschen Wasserpolo gespielt.«
»Wasserpolo?«
»Ja. Der Junge hatte Lust darauf, also warum nicht?«
»Lassen Sie uns doch im Café weiterreden«, sagte ich. »Ich könnte einen Tee vertragen.«
Es war keine Liebe auf den ersten Blick. Unter anderem, weil er jünger als ich war und jüngere Männer mich noch nie interessiert hatten. Aber aus irgendeinem Grund machte er mich neugierig. Mir gefiel seine leidenschaftliche Art, seine Respektlosigkeit, und zwar so sehr, dass ich mitging, als John, ein weiterer Mitarbeiter, auftauchte und uns ins Paradise einlud, um auf seinen Geburtstag anzustoßen. Und das, obwohl ich mich sonst nie mit Arbeitskollegen einließ. Es gefiel mir, dass alle ein bisschen Angst vor mir hatten.
Eine Weile standen Joe und ich an der Bar und unterhielten uns mit einem Mädchen mit jeder Menge Piercings im Gesicht. Mir gefiel die Ernsthaftigkeit, mit der er mit ihr sprach. Er wirkte echt, ungekünstelt. Später spielte er Billard mit John, ganz und gar versunken in das Spiel. Ich hatte ihn genau im Blick, wie er sich mit breiten Schultern und hoch konzentrierter Miene über den Billardtisch beugte, das Queue im Anschlag. Die Muskeln an seinen Oberarmen sahen aus, als seien sie aus glänzendem schwarzem Holz geschnitzt. Wie eine sprungbereite Raubkatze. Ich habe schon immer gern anderen beim Billard zugesehen. Für meinen Geschmack ist es extrem sexy. Wann immer ich beobachte, mit welcher Aufmerksamkeit die Spieler zugange sind, wünsche ich mir heimlich, ebenso im Mittelpunkt ihrer Faszination zu stehen. Wenn ich selbst spiele, finde ich Billard allerdings nur langweilig und anstrengend.
Eine Stunde und mehrere Gin Tonics später beschloss ich zu gehen. Darin war ich schon immer gut. Ich gehöre nicht zu den Leuten, die sich bei Partys grundsätzlich als Letzte verabschieden, sondern bin meistens schnell wieder weg. Mittlerweile war die Bar brechend voll, und etliche Freunde von John hatten sich zu uns gesellt. Mit einem Mal war ich todmüde. Ich sehnte mich nach einem Bad, einem Buch und meinem Bett. Am anderen Ende der Bar sah ich Joe mit einer Flasche Bier in der Hand dastehen, wo er sich angeregt mit einem hübschen Mädchen unterhielt. Ich machte mich auf den Heimweg, ohne auf Wiedersehen zu sagen.
Draußen war es dunkel, aber immer noch warm. Gut, dass ich mich davongestohlen hatte. Zum Glück erspähte ich auch noch ein Taxi und winkte es heran, als hinter mir die Türen der Bar aufgingen. Lärm drang heraus, und plötzlich trat Joe auf die Straße, noch immer mit dem Bier in der Hand. Er machte einen leicht verwirrten Eindruck. Hinter ihm tauchte das Mädchen mit den Piercings auf.
Sie grinste. »He, du hättest ihn beinahe vergessen!« Offenbar ging sie davon aus, dass wir ein Paar waren.
Sie wandte sich um und ging wieder hinein. Joe und ich musterten einander wortlos, während das Taxi neben mir hielt.
»Wo soll’s denn hingehen?«, fragte der Fahrer.
»Shepherd’s Bush«, erwiderte ich und öffnete die Tür. »Wood Lane.«
Joe ging um das Taxi herum, beugte sich zum Fahrer und lächelte.
»Nach Hackney, bitte«, sagte er und öffnete die andere Tür. Seine Augen glitzerten, als er mir über das Dach des Taxis einen Blick zuwarf. »Komm, lass uns zu mir fahren.«
Ich lachte über seine Unverfrorenheit.
»Von wegen«, gab ich zurück. »Ich fahre nach Hause.« Ich sah den Fahrer an. »Shepherd’s Bush«, wiederholte ich.
»Hackney!«, beharrte Joe. Der Fahrer machte eine Miene, als hätte er all das schon tausendmal gehört, und stellte das Taxameter an.
»Komm schon!« Ein Lächeln umspielte Joes volle Lippen. »Lass uns nach Hackney fahren.«
»Nein!«
»Warum nicht?«
»Da gibt’s eine Million Gründe.«
»Sag mir nur einen einzigen!«
»Es ist spät.«
Er sah auf seine Uhr. »Was? Es ist gerade mal zehn. Da musst du mir schon einen besseren Grund nennen.«
»Du hast nur ein Bett«, entgegnete ich.
»Auch falsch! Ich habe ein Bettsofa. Los, noch einen!«
»Okay. Ich habe meine Kontaktlinsenlösung nicht dabei.«
»Du kannst ja meine nehmen.«
»Ach ja?«, fragte ich skeptisch. »Für harte oder weiche
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