So sollst du schweigen: Roman (German Edition)
dunkler und hatte ein wenig an Glanz verloren. Sie starrte in den Regen hinaus, und ich sah, dass auch an ihr die Jahre nicht spurlos vorübergegangen waren. In ihren Augen lag eine Traurigkeit, die ich von früher nicht kannte, und ihre Mundwinkel zeigten leicht nach unten, als hätte sie nur selten Anlass zum Lachen gehabt.
In diesem Moment drehte sie sich um und erblickte Tilly und mich. Ich ließ die Leine los, und Tilly stürmte los. Amy begrüßte sie wie die lange vermisste Freundin, die ich in Wahrheit war. Schließlich ließ sie von Tilly ab und sah mich an. Lange Zeit blickten wir einander in die Augen. Keine von uns bewegte sich. Doch dann fand ich mich mit einem Mal in einer Umarmung wieder und spürte, wie sie mich an sich drückte, als wolle sie mich zerquetschen. Ein Gefühl unbeschreiblicher Sicherheit durchströmte mich, als ich ihren weichen Körper spürte und mich von ihrer bedingungslosen Liebe umhüllen ließ. Am liebsten wäre ich für immer so stehen geblieben. Ich hätte ebenso gut in ihren Armen sterben können, in jenem Gefühl tiefen Friedens, nach dem ich mich so verzweifelt sehnte. Ich hatte das Gefühl, als hätte sich ein Kreis geschlossen. Alles würde gut werden.
In diesem Moment trat eine Kellnerin zu uns und erklärte, Hunde seien im Café nicht erlaubt, also gingen wir nach draußen und setzten uns unter einem großen Sonnenschirm in den Garten. Das Seltsame war, dass wir kein Wort sprachen: Fünfundzwanzig Jahre und alles, was in dieser Zeit geschehen war, schien unmöglich in Worte zu fassen zu sein, also machten wir uns gar nicht erst die Mühe. Amy hielt meine Hand, während wir schweigend dem Regen zusahen.
»Bist du immer noch dabei, Amy? Bei der Organisation?«, fragte ich schließlich.
»Nein«, antwortete sie knapp. »Ich bin vor zwanzig Jahren weggegangen.«
Ich stieß einen erleichterten Seufzer aus. »Ich rede nicht darüber«, sagte ich. »Nie.«
»Das ist schon okay«, sagte sie besänftigend. »Ich eigentlich auch nicht. Das tun die wenigsten. Zumindest die nicht, die ausgetreten sind.« Ich ließ den Kopf gegen ihre Schulter sinken und seufzte erneut. Es sah nicht danach aus, als würde der Regen in absehbarer Zeit nachlassen.
Nach einer Weile wandte sie sich zu mir. »Und was machst du so, Caroline?«, fragte sie mit einem Anflug von Distanziertheit.
Ich stützte mich auf einen Ellbogen, um ihr ins Gesicht sehen zu können. »Ich arbeite als Familientherapeutin«, antwortete ich.
Abrupt fuhr sie hoch und brach in schallendes Gelächter aus. Wir lachten, bis uns die Tränen über die Wangen liefen.
Als ich zwei Tage später von der Arbeit nach Hause kam, wurde ich von einer zutiefst beschämten Tilly begrüßt, während Joe mit Gummihandschuhen vor einem Haufen weißlich-durchsichtigem Erbrochenem auf dem antiken Sofa kniete. Auf dem Boden neben ihm lag ein leeres, sorgsam blank gelecktes Päckchen Schweinespeck.
»Oh, nein!«, rief ich.
»Dieses elende Vieh! Sie kommt zurück nach Battersea.« Joe rubbelte wie wild auf dem Fleck herum. »Nach Battersea, du verdammter Köter!«, knurrte er in Richtung des zitternden Fellbündels unter dem Küchentisch. Joe war über alle Maßen wütend. Normalerweise schimpfte er nie mit dem Hund. Vor ein paar Wochen hätte er den Vorfall noch mit einem lässigen »Ach, das ist ein Spitzentraining für die Zeit, wenn wir erst mal Kinder haben« abgetan.
»Darum kannst du dich kümmern!«, sagte er und zerrte sich die Handschuhe herunter. Was hatte ich erwartet? Ich wischte die schmierige Pampe auf. Das Sofa war ruiniert. Verdammter Köter.
Joe verschwand nach oben, und kurz darauf hörte ich das Rauschen der Dusche. Als er zurückkam, sagte er kein Wort, sondern ging geradewegs in die Küche und nahm sich ein Bier aus dem Kühlschrank. Auch das hätte er vor ein paar Wochen niemals getan, sondern hätte mir ungefragt eine Flasche mitgebracht. Er setzte sich auf das andere Sofa, legte die Beine hoch und schnappte sich die Zeitung.
»Geht es dir gut?«, fragte ich.
»Prima«, erwiderte er knapp.
»Tja, offenbar nicht.« In meiner Stimme lag ein selbstgerechter Tonfall, den sogar ich ärgerlich fand.
»Oh, wir haben also beschlossen, mal wieder zu kommunizieren, was?«, bemerkte er und legte die Zeitung beiseite. »Weil es dir zufällig gerade in den Kram passt?«
Ich ging in die Küche und holte mir ebenfalls ein Bier.
»Okay, wo genau liegt dein Problem?«, fragte ich im besten Therapeutentonfall – ruhig und
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