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So sollst du schweigen: Roman (German Edition)

So sollst du schweigen: Roman (German Edition)

Titel: So sollst du schweigen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clara Salaman
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Regent’s Park, von der aus man die Elefanten beobachten konnte. Ich fühlte mich, als balancierte ich über ein Drahtseil und drohte jeden Augenblick, in die Tiefe, ins Nichts zu stürzen. Auf einen Schlag war mein Leben zu einer Gratwanderung geworden. Ich konnte Gemma nicht helfen, ohne ein paar Türen zu öffnen. All die Jahre hatte ich damit zugebracht, sie sorgsam verschlossen zu halten, die Dinge klar voneinander zu trennen, doch nun schienen die Grenzen zwischen meinen Welten zu zerfließen und sich meiner Kontrolle zu entziehen. Ich wünschte, ich wäre Amy niemals bei diesem albernen Tiertherapeuten über den Weg gelaufen; ich wünschte, ich wäre nie nach Cornwall gefahren, um Megan und Steinberg wiederzusehen. Am liebsten hätte ich all den Ballast in meinen Rucksack zurückgestopft und ihn mir auf den Rücken geschnallt.
    Beim Nachhausekommen begrüßte Tilly mich mit halbherzigem Schwanzwedeln, ehe sie kehrtmachte und ins Wohnzimmer zurückging. Seit der Episode in der Höhle am Strand löste ihre Gegenwart tiefe Schuldgefühle in mir aus. Sie hatte vieles gesehen, was nicht für Hundeaugen gedacht war, und seither schien ein Vorwurf in ihren dunklen, wissenden Augen zu liegen. Seit unserer Rückkehr zog sie Joe unübersehbar meiner Gegenwart vor – wann immer die Entscheidung anstand, auf welchem Schoß sie lieber liegen wollte, trottete sie zu ihm und bedachte mich dann mit einem knappen Nicken, als wolle sie sagen »Da hast du’s, du hinterhältiges Miststück«.
    »Hi!«
    »Hi!« Ich stellte meine Tasche in der Diele ab und trat mir die Schuhe von den Füßen.
    Joe lag auf dem Sofa und sah sich ein Spiel auf Sky Sports an, während er auf seiner Playstation Football Manager spielte, während er im Radio Five Live hörte und offenbar nebenbei noch den Sportteil der Zeitung las. Normalerweise würde ich das Szenario äußerst irritierend finden – wie viel Geräuschkulisse und flimmernde Bilder konnte ein einzelner Mensch ertragen? Heute hingegen hatte es etwas Tröstliches. Ich glaube, ich liebte Joe aufrichtig; ich liebte ihn für seine absolute, umfassende Normalität. Das war die Welt, an die ich mich halten würde: die Welt, in die ich gehörte, weit weg von der Organisation und ihren Mitgliedern. Ich brauchte lediglich Steinberg nicht mehr wiederzusehen, das war alles.
    Ich betrat die Küche und drehte das Radio leiser.
    »Hey, ich hab mir das gerade angehört!« Es war eindeutig ein Scherz.
    »Lust auf eine Tasse Tee?«, rief ich.
    »Ja, gern.« Er hob den Kopf.
    Ich machte Tee und gesellte mich zu ihm aufs Sofa. Er legte die Fernbedienung der Playstation beiseite und drehte den Ton ab, so dass die kleinen Männchen stumm durchs Bild hüpften.
    »Was ist los?«, fragte er. »Schlimmen Tag gehabt?«
    »Ja.«
    »Wieso?«
    Ich war nicht daran gewöhnt, mich Joe gegenüber zu öffnen, sondern befreite mich aus Situationen wie dieser seit Jahren mit irgendwelchen faulen Ausreden. Aber wenn ich verdammt noch mal wollte, dass unsere Beziehung funktionierte, würde ich mir ein bisschen Mühe geben müssen.
    »Eine meiner Klientinnen, ein labiles, dürres Ding, das nur aus Haut und Knochen besteht, liegt in einem andauernden Streit mit ihren Eltern. O Joe!«, sagte ich und wandte mich ihm zu, »stell dir vor, auf welche Schule sie sie jetzt auch noch schicken wollen!«
    Ihm blieb der Mund offen stehen. »In die Irrenanstalt?«
    »So ist es.«
    Genau dafür liebte ich Joe so sehr. Was zum Teufel trieb ich mit Steinberg?
    »Ich habe keine Ahnung, was ich tun soll. Ich weiß nicht, wie ich ihnen helfen und sie davon abhalten soll.«
    Seufzend nahm er eine Schachtel Silk Cut vom Tisch. Eigentlich hatten wir uns halbherzig vorgenommen, das Rauchen aufzugeben, aber er steckte sich zwei in den Mund, zündete sie an und reichte mir eine.
    »Was soll ich jetzt machen?«, fragte ich. Dies war vielleicht das erste Mal, dass ich ihm diese Frage stellte. Dabei hätte ich dieses Thema noch vor ein paar Wochen niemals freiwillig angeschnitten.
    Langsam stieß er den Rauch aus, der in einer kräuselnden Wolke über uns aufstieg und sich schließlich auflöste.
    »Lorrie«, sagte er sanft. »Eines Tages wirst du mir erzählen, was auch immer du … mir nicht erzählen willst.«
    Ich stieß ein gereiztes Schnauben aus. Er legte mir die Hand auf den Schenkel und streichelte ihn abwesend. »Ich habe keine Ahnung, was dort vor sich gegangen ist, Lol, aber ich weiß, dass deine Leute von dort anständige Leute

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