So sollst du schweigen: Roman (German Edition)
Stück Dreck.« Auf ihrer Miene lag ein wütender, aber zugleich resignierter Ausdruck.
Ich konnte mich nicht daran gewöhnen, die Angehörige der Organisation fluchen zu hören. Es passte einfach nicht, ebenso wenig wie der kesse, knapp geschnittene Rock. »Hast du ihn zur Rede gestellt?«
»Ich kann mich nicht mehr daran erinnern, wann er das letzte Mal mit mir in ein Hotel gegangen ist und eine Flasche Champagner spendiert hat. Nein, habe ich nicht.«
Ehrlich gesagt, war ich diejenige gewesen, die den Champagner geordert hatte, doch dies war nicht der richtige Zeitpunkt für Haarspaltereien.
»Sieht nicht gut aus, was?«, meinte sie.
»Nein.«
»Und ich glaube, ich weiß auch, wer es ist.«
»Wer denn?« Gütiger Gott.
»Diese Van Heusen aus seiner Griechisch-Übersetzungsgruppe. Ich habe beobachtet, wie sie ihn ansieht. Und es muss jemand aus der Organisation sein, weil das Hotel so nahe bei der Zentrale liegt.«
Ein eigentümlicher Anflug von Eifersucht auf diese Van Heusen packte mich, und ich verspürte beinahe den Drang, mich aufzumachen und Megan zu helfen, dieses Weibsstück zur Rede zu stellen.
»Ich wusste es«, sagte sie und setzte sich aufs Bett, ohne einen Gedanken daran zu verschwenden, dass die Decke Falten schlagen könnte. »Ich wusste, dass irgendetwas im Busch ist. Er ist so … anders.«
»Anders?«
Eigentlich wollte ich es lieber nicht hören, doch ich hatte das Gefühl, etwas sagen zu müssen. Ich hatte nur einen Wunsch – von hier wegzukommen, raus aus diesem Zimmer und weg von diesen Leuten. Nach Hause. Mit Joe.
»Er ist so unkonzentriert und checkt andauernd sein Telefon.«
»Vielleicht hatte er ja nur einen kleinen Flirt, Megan«, sagte ich. Großer Gott, was redete ich da! »Vielleicht lief etwas, und jetzt ist es vorbei.« Ich beschloss, dass es vorbei war. Ein für alle Mal.
»Außerdem …« Sie hob eine Braue, »… will er ständig Sex.«
Das gab mir den Rest.
»Dieser kleine Dreckskerl«, pflichtete ich ihr bei.
Ich gelangte zu dem Schluss, dass ich nach unten gehen und Übelkeit vorschützen würde, damit Joe und ich so schnell wie möglich verschwinden konnten.
Aber es kam anders.
Als wir nach unten zurückkehrten, hatten Joe und Steinberg eine weitere Flasche Wein aufgemacht und tranken wie die Weltmeister. Steinberg hatte Musik aufgelegt, Van Morrison. Wie abstoßend – er versuchte mir zu zeigen, wie cool er war. Auf eine ziemlich altmodische Art, versteht sich.
Joe saß bereits am Tisch mit einer blau-weiß kartierten Tischdecke. Kerzen flackerten, und in der Mitte des Tisches stand ein riesiger Topf, dem ein köstliches Aroma entströmte. Steinberg hatte alle Register gezogen. Ich war hungrig und spürte, wie meine Entschlossenheit schwand. Wieder überkam mich dieses Gefühl, auf einem Drahtseil zu balancieren, und der Wunsch, mich in die Tiefe zu stürzen.
»Wow! Das sieht gut aus. Danke, Nate«, lobte Megan. Normalerweise gaben sich männliche Mitglieder der Organisation nicht für Küchendienste her. Ich hörte das Erstaunen in ihrer Stimme.
»Setz dich doch«, sagte Steinberg zu mir, zog einen Stuhl hervor und nahm mir gegenüber Platz.
Anfangs dachte ich, es sei ein Versehen. Gleich nach der Suppe spürte ich, wie jemand unter dem Tisch mein Bein streifte. Ich zog es weg, doch innerhalb kürzester Zeit spürte ich die Berührung erneut. Es war kein Versehen. Ich sah Steinberg an, der scheinbar aufrichtig interessiert Joes Schilderung seiner Arbeit lauschte. Für den Bruchteil einer Sekunde fing ich seinen Blick auf, als wolle er sagen: Ja, ganz genau, das war ich.
Wie unverschämt, so etwas vor ihrer Nase zu tun, in seinen eigenen vier Wänden. Was für ein Dreckskerl! Doch als er anfing, sanft mit den Zehen meine Wade zu liebkosen, schwand meine Empörung. Nach einer Weile ertappte ich mich sogar dabei, wie ich meine Beine ausstreckte, um es ihm ein wenig leichter zu machen, während Van Bright Side of the Road anstimmte.
»Wo arbeitet eigentlich dein Vater, Joe?«, fragte Megan.
»Auf der Straße«, erwiderte Joe.
Ich konnte mir nicht vorstellen, dass Megan Erfahrung mit Menschen besaß, die im Straßenbau arbeiteten. Sie war lediglich mit Leuten in Berührung gekommen, die für die Organisation tätig waren – eine Branche, in der es nicht allzu viele Straßen zu teeren gab.
»Was genau meinst du mit ›auf der Straße‹?«, erkundigte sie sich. »In welcher Welt lebst du eigentlich?«, hätte ich sie am liebsten gefragt, aber ich
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