Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
So sollst du schweigen: Roman (German Edition)

So sollst du schweigen: Roman (German Edition)

Titel: So sollst du schweigen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clara Salaman
Vom Netzwerk:
Zunge verschwinden. Als Carol in die Küche ging, ließ ich die Würste schnell in meiner Schultasche verschwinden. »Wo hast du die denn gelassen?«, fragte Carol, als sie zurückkehrte. »Du bist ja nur Haut und Knochen.«
    Am nächsten Tag erzählte ich meinen Freundinnen in der Schule, ich hätte vier ganze Würste verspeist. Ich log nicht oft, aber ich fühlte mich in gewisser Weise verantwortlich und hätte das Gefühl gehabt, die anderen im Stich zu lassen, indem ich sie nicht probierte. Schließlich waren Gelegenheiten wie diese rar. Keine von ihnen hatte je Fleisch probiert, bis auf Megan während ihrer Krankenhausaufenthalte, was mich zu einer Art Pionierin machte.
    In diesem Moment fiel mir wieder ein, dass sie ja nicht länger meine Freundinnen waren, sondern dass ich ab jetzt auf mich allein gestellt war. Der Gedanke schmerzte ein wenig, aber ich konnte es mir nicht erlauben, traurig zu sein. Als der Mann mit dem Snackwagen neben mir stand, bestellte ich ein Schinkensandwich.
    »Gern, Schätzchen«, sagte er. »Einmal Schinkensandwich. Macht vierzig Pence, bitte.«
    In der Welt da draußen schien eine Menge Liebe zu existieren. Alle nannten einen »Herzchen«, »Schätzchen« oder »meine kleine Butterblume«, wohingegen man in der Organisation die Leute stets mit ihrem richtigen Namen ansprechen musste.
    Offen gestanden bekam mir das Schinkensandwich nicht besonders gut. Ich war nicht sicher, aus welchem Tier Schinken gemacht wurde, aber es schmeckte nach salziger Schuhsohle, also aß ich nur das Brot, ohne den Schinken. Ich würde es später noch mal probieren; für dieses Fleisch-Projekt war allem Anschein nach etwas mehr Geduld nötig.
    So sehr ich mich auch bemühte, konnte ich nicht aufhören, an Megan und Amy und die anderen zu denken. Megan machte sich bestimmt Sorgen um mich, wohingegen Mr   Steinberg mein Fehlen erst in der nächsten Griechischstunde, also morgen, bemerken würde. Mum und Dad waren bestimmt froh, dass ich weg war, schließlich gab es meinetwegen nur Ärger. Wahrscheinlich war es das Beste für uns alle. Außerdem glaubte ich nicht, dass sie mir fehlen würden.
    Wieder presste ich meine Nase gegen die Scheibe. Felder flogen an mir vorbei, dazwischen das eine oder andere Cottage, und nach einer Weile wurde die Landschaft wild und karg; überhaupt nicht wie in London, ja, noch nicht einmal wie Hampstead Heath. Wieder überkam mich unvermittelt ein Gefühl der Einsamkeit, und Tränen brannten in meinen Augen. Ich wusste, dass ich mir etwas einfallen lassen musste. Ich würde irgendwo aussteigen, so tun, als wäre ich Waise, und mir einen Job besorgen. Auf einer Farm Kühe melken oder so etwas. Vielleicht nahm mich ja ein freundliches altes Ehepaar auf. Ich würde von Tür zu Tür gehen und um Logis bitten und irgendwann ein hübsches kleines Zimmer unterm Dach finden, so wie man es in den Geschichten immer las. Laut der Bhagavad Gita, der Bibel und den Upanishaden ist man besser dran, wenn man nichts besitzt. Jesus, Gott und all die anderen mögen Armut gern. Um ein heiliger Mann zu sein, muss man sogar arm sein. Nicht dass ich ein heiliger Mann sein wollte, dafür war es wohl ein bisschen zu spät, nachdem ich gemordet und gestohlen hatte, außerdem war ich ja ein Mädchen.
    Doch mit einem Mal änderten sich meine Pläne; genau in jenem Augenblick, als das Meer zu meiner Rechten auftauchte – das herrliche, stürmische, dunkelgrüne Meer, auf dem tausende und abertausende weiße Schaumkronen tanzten, während bauschige Wölkchen vor der gelbgoldenen Sonne vorüberzogen.
    Die Fähre verließ gerade den Hafen, während eine andere hereinschipperte. Mein Blick fiel auf die leuchtend weißen Klippen. Ich musste in Dover gelandet sein. Ein Zeichen! Ich war an der Grenze, mit einem gültigen Pass und vierhundertfünfzig Dollar in der Tasche. Danke, lieber Gott.
    Der Anblick des Meers löste hektische Betriebsamkeit im Waggon aus. Ein älteres Ehepaar begann, die Deckel auf ihre Tupperware-Behälter zu geben, während ein junges Pärchen aufstand und seine Sachen aus dem Gepäcknetz zog. Vor dem Fenster glitten Fähren vorbei, die einander mit lautem Tuten begrüßten. Überall um mich herum schien alles nur im Doppelpack zu existieren, Menschen und alles andere ebenfalls, was meiner Begeisterung jedoch keinen Abbruch tat. Dies war der Beginn vom Rest meines Lebens! Die Schäferhunde würden meine Spur niemals über die raue See verfolgen können. Ich konnte nach Frankreich gehen! Der

Weitere Kostenlose Bücher