So still die Toten
enthielt. Sie waren nicht geordnet, aber auf der Rückseite stand jeweils eine kurze Beschreibung.
Die merkwürdige Sammlung schien vor mehr als dreißig Jahren zusammengestellt worden zu sein. Angie entdeckte ein Foto ihrer Eltern.
»Ist das Ihre Mutter?« Malcolm blickte ihr über die Schulter.
»Ja.«
»Sie sehen ihr sehr ähnlich.«
»Das sagt Eva auch, aber ich weiß nicht mehr, wie Mutter in jüngeren Jahren aussah. In meiner Erinnerung war sie immer müde und verhärmt.«
»Sie haben doch Fotos, oder?«
»Nein. Vater gestattete im Haus keine Bilder von meiner Mutter. Wegen der schlechten Erinnerungen.«
»Und was war mit Ihnen?« Der Zorn in Malcolms Stimme war unüberhörbar. »Ein Kind hat ein Recht auf Fotos seiner Mutter.«
»Als ich Mom einmal besucht habe, habe ich sie fotografiert. Dad hat die Fotos gefunden und weggeworfen. Sie muss ihm wirklich das Herz gebrochen haben.«
»Deswegen hatte er noch lange nicht das Recht, Ihnen die Bilder wegzunehmen.«
Angie fuhr den Umriss des lächelnden Gesichts ihrer Mutter nach. »Sie sieht so glücklich aus. Und so jung. Dad hat niemals so gelächelt.«
»Wieso er die Bilder wohl aufgehoben hat?«
»Wer weiß? Er hat mir ja nicht einmal etwas von diesem Lagerraum erzählt.«
Auf einem der Fotos war Angie als kleines Kind zu sehen. Auf ihrem Gesicht lag ein strahlendes Lächeln, und sie hielt ihre beiden Eltern an den Händen. »Das ist, als würde ich in ein Paralleluniversum hineinschauen. Diese Leute sehen aus wie Menschen, die ich gekannt habe, aber sie wirken ganz anders.«
»Woran erinnern Sie sich aus der Zeit, als Ihre Eltern noch zusammen waren?«
»Mom ist viel ausgegangen. Dad wurde irgendwann wütend deswegen. Sie haben sich immer öfter gestritten.«
»Und wo war er?«
»Meistens im Museum. Dort war er am liebsten.«
»Was ist nach dem letzten Streit passiert?«
»Mom sagte, sie würde einkaufen gehen und gleich wieder zurück sein. Aber sie ist nicht zurückgekommen. Erst nach fünf Monaten habe ich sie wiedergesehen.«
»Wie alt waren Sie da?«
»Vier. Später ist mir klar geworden, dass meine Mutter damals mit Eva schwanger gewesen sein muss. Sie hat Dad verlassen und ist mit Blue zusammengezogen. Danach habe ich sie nur ab und zu gesehen.«
Angie betrachtete die Bilder ihrer Eltern und verfiel in Schweigen.
Malcolm setzte das Brecheisen unter den Rand der nächsten Kiste und riss den Arm ruckartig nach oben. Das Holz splitterte. Er griff in die Kiste und schob die Polsterung beiseite. »Sieh mal einer an, was wir hier haben.«
»Was denn?«
»Sieht nach Personalunterlagen aus.«
»Wirklich?«
Er blätterte in einer Akte. »Eine Liste mit allen, die jemals in dem Museum gearbeitet haben. Und sämtliche Vorstandsmitglieder sind aufgeführt.«
»Dad kannte die Vornamen von allen seinen Angestellten. Und er wusste sogar die Namen ihrer Frauen und Kinder.«
Malcolm runzelte die Stirn.
»Was ist?«
»Ihr Vater weiß alles über seine Angestellten, schafft es aber nicht, seinem Kind ein paar lumpige Bilder der Mutter zu überlassen.«
»Er hat sein Bestes getan.« Angie legte die Fotos beiseite und nahm die Brechstange vom Boden auf.
»Ja, klar.« Malcolm studierte die Namen.
Mit grimmigem Gesicht und zunehmend gereizt und enttäuscht trieb Angie das Brecheisen so heftig in die nächste Kiste, dass das Holz an der Oberseite splitterte.
»Mist«, sagte Malcolm.
»Was ist?«
»Louise Cross war im Vorstand des Talbot-Museums.«
Das Brecheisen rutschte ab, und Angie stolperte nach vorn. Hätte sie sich nicht an der Kiste festhalten können, wäre sie gestürzt. Ihre Hand rutschte in die Kiste, doch sie zog sie augenblicklich zurück. »Oh Gott.«
Malcolm sah von der Akte hoch.
Angies Gesicht war blass geworden. »Da sind Knochen drin.«
Im Lagerraum blitzte es. Paulie Sommers machte Fotos. »Kier, du hast einen sechsten Sinn.«
Malcolm stieß sich von der Wand ab und ging zur Tür. Nach dem Knochenfund hatte er sofort die Spurensicherung und Garrison benachrichtigt.
»Wieso?«
»Sobald ich mich mal hinsetze, rufst du an. Kein anderer Cop schafft das.«
Malcolm grinste. »Ich tue mein Bestes.«
Er warf einen Blick in den Gang und sah Angie, die schweigend und mit verschränkten Armen dastand. Seit sie die Knochen entdeckt hatten, hatten sie kaum ein Wort miteinander gewechselt. Er hatte versucht, ein Gespräch in Gang zu bringen, doch sie war zu angespannt, um zu sprechen. Sie hatte sich in ein düsteres Schweigen
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