So still die Toten
und schlängelte sich so rasant durch den morgendlichen Verkehr, dass Angie die Luft wegblieb. Zweimal klammerte sie sich am Türgriff fest, als er hinter einem Lastwagen scharf abbremsen musste, aber sie sagte nichts. Zuweilen bemerkte sie ein leichtes Lächeln auf seinen Lippen. Er genoss es. Er liebte das Tempo und die sportliche Fahrweise. Und dass sie nervös war, war das Sahnehäubchen.
Doch die Angst wegen des hektischen Verkehrs und der Beinaheunfälle war immer noch besser, als über die Frau zu grübeln, die sie besuchen würden.
Louise Cross war eine echte Soziopathin. In ihrem Kopf drehte sich alles nur um sie selbst.
Die Mordserie des letzten Jahres hatte sie mit dem Bedürfnis nach Vergeltung zu rechtfertigen versucht. Sie hatte getötet, um ihren Sohn Josiah zu rächen, der ermordet worden war. Doch ihre Rache hatte sich verselbstständigt. Nachdem sie diejenigen umgebracht hatte, die ihrer Meinung nach am Tod ihres Sohnes schuldig waren, hatte sie Eva aufs Korn genommen, obwohl die mit dem Verbrechen nichts zu tun hatte.
Angie war der Meinung, dass Louise weiter gemordet hätte, wenn sie nicht geschnappt worden wäre. Nachdem sie einmal Blut geleckt hatte, hatte sie seinen süßen Geschmack nicht mehr vergessen können. Sie dürstete nach dem Tod und mordete wie eine Süchtige.
Als sie vor dem mit Stacheldraht bewehrten Gefängnistor hielten, entfuhr Angie durch die zusammengebissenen Zähne ein Seufzer der Erleichterung. »Ich glaube, Sie haben gerade einen neuen Überlandrekord aufgestellt, Detective.«
Malcolm stellte den Motor ab und sah sie an. »Tut mir leid, heute gab’s keine Rekorde.«
Angie wischte einen Fussel von ihrem Schoß. »Ist das ein Witz?«
»Der Verkehr hat mich ausgebremst. Ich wette, auf der Rückfahrt bin ich zwanzig Minuten schneller.«
»Wegen mir müssen Sie sich nicht hetzen. Wirklich nicht.« Sie stieg aus und erfreute sich am Knirschen des festen Bodens unter ihren Füßen.
»Ach, kommen Sie schon, Frau Anwältin, wo bleibt Ihr Sinn für Abenteuer?« Er schloss die Fahrertür und ging um das Auto herum.
»Den hebe ich mir für den Urlaub auf.« Sie sah zu den grauen Gefängnismauern hinauf und schluckte den Kloß in ihrem Hals hinunter.
»Was verstehen Sie denn unter einem gelungenen Urlaub? Und bitte erzählen Sie mir nicht, dass Sie zu den Leuten gehören, die sich an den Strand legen und in der Sonne braten lassen.«
Angie war dem Detective dankbar für seine Ablenkungsversuche, auch wenn sie nicht ganz funktionierten. »Nein, das ist nichts für mich.«
Sie gingen zur Zentrale, wo Kier seine Pistole abgab. Dann passierten sie einen Metalldetektor, und die Wachen durchsuchten Angies Handtasche.
»Ich kann mir Sie gar nicht im Urlaub vorstellen«, meinte Kier. »In meiner Vorstellung rackern Sie sich Tag und Nacht ab, dreihundertfünfundsechzig Tage im Jahr.«
Angie dachte an ihren letzten Urlaub. Lag er drei Jahre zurück? Oder fünf? »Gelegentlich mag ich es etwas wilder.«
Er lachte. »Wie bei einer dieser Kreuzfahrten, bei denen man ständig auf Deck mit Essen vollgestopft wird?«
»In meinem letzten Urlaub habe ich den Kilimandscharo bestiegen.«
Kier zog eine Augenbraue hoch. »Das ist nicht Ihr Ernst, oder?«
»Doch. Ich bin gern in der freien Natur. Beruflich verbringe ich so viel Zeit in geschlossenen Räumen, dass ich in meiner Freizeit draußen bin, so oft es geht.«
»Das hätte ich von Ihnen nie gedacht.«
Das Geplänkel trug sie durch die Sicherheitsschleuse und den Flur bis zum Besucherzentrum. Louise wurde als extrem gefährlich eingestuft, deshalb würde Angie durch eine dicke Glasscheibe per Telefon mit ihr sprechen. Das galt natürlich nur für den Fall, dass Louise überhaupt erschien. Sie war berechtigt, das Gespräch zu verweigern.
Angie nahm auf dem harten Plastikstuhl vor dem Besucherfenster Platz. Kier verschränkte die Hände hinter dem Rücken und stand breitbeinig da, ein schweigsamer Wachposten. Er hatte ihr nicht gesagt, dass er für sie da sein würde, falls die Dinge außer Kontrolle gerieten, aber sie wusste, dass es so war.
Angie hielt sich kerzengerade und bemühte sich, ihre Nervosität zu unterdrücken. Louise würde sich auf jede sichtbare Schwäche stürzen und sie gegen sie auszuspielen versuchen.
»Es wird schon gut gehen«, sagte Kier leise, aber vernehmlich.
Sie erhaschte sein Spiegelbild in der Glasscheibe. Er sah sie an. »Ich weiß.«
»Entspannen Sie Ihre Schultern.«
Sie zog die Schultern hoch
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