So unerreichbar nah
ich, dass ich sie trotz ihrer Pumps in meinen
flachen Schuhen um einen halben Kopf überragte - und lächelte mich eindeutig
sarkastisch an. Ihre Augen blieben kalt, als sie erklärte:
»Ich kann
Ihre Bitte durchaus nachvollziehen, Frau Achern. Die Chemie muss stimmen, sonst
klappt eine Praxisgemeinschaft nicht. Ich bitte Sie aber auch, mir spätestens
in vierzehn Tagen Bescheid zu geben, wie Sie sich entschieden haben, da ich
noch andere, sehr gute Angebote vorliegen habe.«
Dann nimm
doch die an und lass uns in Ruhe! schoss es mir respektlos durch den Kopf.
Als sie den
Raum verlassen hatte, schien die Temperatur um einige Grade gesunken zu sein.
Max und Johannes starrten mich sichtlich erbost an.
Gemeinsam
fielen sie über mich her, wobei ausnahmsweise Max das erste Wort hatte:
»Sag mal,
Tessa, was war denn das eben? Da präsentieren wir dir die perfekte Kollegin,
haben die Möglichkeit, eine äußerst kompetente und begehrte Psychologin bei uns
aufzunehmen, damit unseren guten Ruf auszuweiten und unsere Kosten zu senken
und du zickst hier herum wie eine Zwölfjährige?«
Bevor ich ihm
eine passende Entgegnung geben konnte, nahm Johannes den Ball auf, kraulte sich
nachdenklich den Bart an seinem Kinn und spielte "guter Cop":
»Max, nicht
in diesem Ton. Tess, ich verstehe ja, dass diese Überlegungen bezüglich einer
Gemeinschaftserweiterung für dich überraschend kommen, aber musstest du gleich
so unmotiviert und ablehnend reagieren?«
Ich holte
tief Luft, zählte innerlich bis zehn und konterte diese ungerechte
Doppelattacke in einem, wie ich hoffte, beherrschten überlegenen Ton:
»Die korrekte
Vorgehensweise für euer Vorhaben wäre gewesen, das Ganze unter sechs Augen mit
mir durchzusprechen. Und mich nicht vor diesem psychologischen weiblichen
Supertalent zu überrumpeln und vor vollendete Tatsachen zu stellen. Ihr braucht
euch über mein Zögern«, anklagend deutete ich mit dem Zeigefinger auf Max,
»wohlgemerkt, Zögern, nicht Zicken, wahrlich nicht wundern. Ich kenne die Frau
nicht und will erst einmal Erkundigungen über sie einziehen. Im Gegensatz zu
euch reichen mir optische Vorzüge einfach nicht aus, um sie bei uns als
Partnerin einsteigen zu lassen.«
Um weitere
sinnlose und unbegründete Diskussionen zu vermeiden, wandte ich mich zum Gehen.
»Und jetzt
entschuldigt mich bitte, ich habe noch einen privaten Termin. Sobald ich mich
mit der Sache befasst habe, teile ich euch meinen Entschluss bezüglich Frau
Klausen mit.«
Stinksauer
holte ich den Porsche aus der Garage und beschloss, mein leider nicht
umweltfreundliches, aber hochwirksames Geheimrezept gegen Frust anzuwenden:
Anstatt auf kürzestem Weg nachhause zu fahren, benutzte ich den Autobahnring um
die Stadt herum, wo ich den Wagen mit hundertzwanzig Sachen (mehr gab die
Geschwindigkeitsbeschränkung leider nicht her) über drei Spuren hinweg
ausfahren konnte.
Ich war keiner
von diesen hirnlosen Rasern, die sich und andere durch dämliche Überholmanöver
gefährdeten. Auch wenn ich genervt war, fuhr ich zwar zügig, dennoch immer
defensiv und hörte dabei meine selbstgebrannten CDs mit meiner Lieblingsmusik,
die ein willkürliches Gemisch von den aktuellen Hits bis hin zu Louis
Armstrong, Nina Simone und Dean Martin enthielten. Ich entspannte mich beim
Autofahren. Je länger ich den völlig unterschiedlichen Songs lauschte und
teilweise mitsang, desto ruhiger wurde ich.
Und bei Ella
Fitzgeralds Interpretation von "Summertime" hatte ich so viel Abstand
zu meinem unerfreulichen Arbeitstag gewonnen, dass ich, bei der Erinnerung an
die belämmerten Gesichter meiner Kollegen angesichts meiner Skepsis dieser Franziska
gegenüber, laut auflachte. Franziska war in meinem bisherigen Leben, so fiel
mir auf, stets ein Synonym für Frauen, die mir Ärger bereiteten, gewesen.
Eine Franziska
in der Grundschule hatte mir mein Poesiealbum mit einem total dämlichen und
mittlerweile politisch völlig unkorrekten Spruch - Bin ich auch in Afrika,
unter Speck und Paprika, wollen mich die Neger fressen, deiner werd ich nie
vergessen - sowie einer dilettantischen Strichzeichnung von einem Männchen in
einem Kochtopf verschandelt. Darunter hatte sie dann in Großbuchstaben VON
DEINER ALLERBESTEN FREUNDIN FRANZISKA gesetzt. Sie war nie meine Freundin
gewesen und nur meine Mutter, die mir erbost erklärte, so etwas täte man nicht,
hielt mich davon ab, die Seite sofort herauszureißen.
In der elften
Klasse des Gymnasiums dann hatte mir wieder eine
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