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So unerreichbar nah

So unerreichbar nah

Titel: So unerreichbar nah Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marleen Reichenberg
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handelte. Ich rief sofort zurück, denn es hatte sie ganz sicher
enorme Überwindung gekostet, bei mir anzurufen.
    Ihre
angenehme Stimme klang schwach und mutlos.
    »Danke für
den Rückruf. Ich weiß nicht mehr, was ich tun soll. Ich habe vor allem Angst,
bin wie gelähmt. Mein Leben ist völlig aus den Fugen geraten. Ich habe ehrlich
gesagt keine Ahnung, wie ich das, selbst mit therapeutischer Hilfe, jemals wieder
in den Griff bekommen soll.«
    Ich hakte
nach, fragte sie, ob der Wunsch, etwas an ihrer Situation zu verändern, von ihr
selbst käme oder nur unter dem Druck ihrer Familie entstanden wäre.
    Als sie
erklärte, sie hielte die Situation selbst nicht mehr aus und wolle behandelt
werden, da sie nichts zu verlieren hätte, machte ich mit ihr den ersten Termin
in zwei Tagen aus. Ironischerweise hatte Alicia es meiner Kollegin Franziska zu
verdanken, dass ich so schnell einen freien Termin fand, da Jürgen und die
andere Abtrünnige an diesem Tag hintereinander eingetragen waren und bei mir
abgesagt hatten.
    Bis ich
Alicia soweit hatte, dass sie sich getraute, ihre Wohnung zu verlassen, würde
ich ausnahmsweise zu ihr kommen.
     
    Kaum hatte
ich den Hörer aufgelegt, klingelte das Telefon erneut. Am Klingelton erkannte
ich, dass es ein internes Gespräch von einem meiner Kollegen war. Hoffentlich nicht
Franziska, bat ich im Stillen. Ich war froh, wenn ich von ihr nichts hören und
sehen musste. Beherzt nahm ich den Hörer ab und meldete mich kühl.
    »Tessa, hier
ist Johannes. Max und ich haben festgestellt, dass wir uns schon lange nicht
mehr auf einen Feierabenddrink getroffen haben. Wie sieht´s aus, hast du heute
gegen halb sechs Zeit? Gegenüber bei Gino´s wie immer?«
    Noch bevor
ich mir eine plausible Ausrede zurecht legen konnte, da ich keine Lust darauf
hatte, mir meinen Feierabend vom Anblick der falschen Schlange Franziska versauen
zu lassen, ertönte Max´ Stimme erneut.
    »Ach ja, wir
sind nur zu dritt - ganz wie in alten Zeiten. Franziska hat heute Nachmittag
frei.«
    Das klang
schon wesentlich besser. Spontan sagte ich zu und legte auf. Ein Gespräch unter
Kollegen und - da die beiden Humor besaßen - ein lustiger Tagesausklang, das
hatte mir gefehlt. Ich freute mich darauf.
    Solange, bis
ich in der Bar saß und wir nach einigen unverbindlichen Fachsimpeleien über
interessante neue Fälle plötzlich auf Franziska kamen. Natürlich nicht durch
mich. Ich hätte mir eher die Zunge abgebissen als sie freiwillig zu erwähnen.
Max und Johannes dagegen schien sie sehr am Herzen zu liegen.
    »Ach Tessa, Franziska
macht sich ernsthafte Sorgen.«
    Max machte
ein bekümmertes Gesicht.
    Schön
wär´s, wenn die ernsthafte Sorgen hätte. Dann würde sie wenigstens aufhören,
meine Patienten zu klauen!
    Johannes nahm
einen tiefen Schluck von seinem Weizen, stellte das Glas auf den Tisch und sah
mich ebenfalls ernst an.
    »Sie fürchtet,
du nimmst es ihr übel, dass Herr Lauters und Frau Wildhaus sich jetzt von ihr
therapieren lassen.«
    Ja und?
Sollte ich ihr jetzt zum Zeichen meiner unendlichen Güte gleich noch ein paar
Patienten freiwillig abtreten? Damit das arme Kind keine schlaflosen Nächte mehr
hatte? Natürlich war ich stinksauer auf sie, aber das würde ich wohlweislich
schön für mich behalten.
    Max war
wieder an der Reihe. In väterlich klingendem Ton - der Kerl war drei Monate
jünger als ich - erklärte er:
    »Tessa, du
weißt doch, dass es Fälle gibt, die die Therapie bei einem Therapeuten
abbrechen und bei einem anderen fortsetzen? Denk mal an Frau Kleinert, die vor
zwei Jahren zuerst vom Hausarzt an mich überwiesen wurde, sich aber dann lieber
von einer Frau therapieren lassen wollte und bei dir weitergemacht hat.«
    Ja, klar. Aber
Frau Kleinert hatte ein generelles Problem mit Männern gehabt, weil sie lange
Zeit von einem Stalker verfolgt worden war und auch dann, als dieser ihre
Verfolgung wegen eines neuen Opfers beendet hatte, noch unter Ängsten vor
männlichen Nachstellungen litt. Das waren völlig andere Umstände gewesen und
ich hatte sie auch nicht abgeworben, sondern es war Max´ Idee gewesen, sie an
mich weiter zu reichen.
    Ich erkannte,
dass das raffinierte Luder meine beiden Kollegen restlos eingewickelt hatte,
indem sie ihnen etwas von "Angst vor mir" vorheulte und mich damit
von vornherein in die Rolle des Bösewichts drängte. Egal, was ich zu meiner
Verteidigung vorbringen würde, Johannes und Max standen auf Seiten der armen,
von mir ungerecht behandelten, weil völlig

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