So unerreichbar nah
mich
magnetisch von ihm angezogen. Es kostete mich äußerste Beherrschung, seine
Begrüßungsumarmung und seine Wangenküsschen nicht dadurch zu sabotieren, dass
ich mich an ihn klammerte und mein Kopf so verdrehte, dass sein Küsschen auf
meinem Mund landen würde. Und wie jedes Mal benahm ich mich obercool und lässig,
um meine kindische Schwärmerei für ihn zu kaschieren.
Meine
Coolness geriet gefährlich ins Wanken, als er mich nach der Begrüßung von sich
schob und mich von Kopf bis Fuß anerkennend abtaxierte.
»Ich habe das
dumpfe Gefühl, heute auf dich aufpassen zu müssen, so scharf, wie du
aussiehst!«
Pass du
lieber auf dich selber auf, jubelte mein Engelchen, welches außer Rand und Band
geraten war.
Zufrieden
darüber, dass ihm mein Minirock offensichtlich zusagte, gab ich zurück:
»Lisa hat mir
aufgetragen, auf dich aufzupassen. Mein Outfit soll lediglich abschreckende
Wirkung auf potentielle Mitbewerberinnen haben!«
Er lächelte
sardonisch.
»Mag sein,
dass es die abschreckt. Mich törnt dein Outfit jedenfalls an!«
Schade,
dass es nur das Outfit ist und nicht der Inhalt!
Er war mit
seinem Wagen gekommen. Wir einigten uns aber, wegen der Parkplatzproblematik
ein Taxi zur Olympiahalle zu nehmen.
»Und wenn wir
danach noch irgendwo etwas trinken gehen, ist es auch besser, wenn ich nicht
mehr fahren muss. Ich werde dann in Lisas Wohnung übernachten«, erklärte er
mir.
OMG, Lucas
allein eine ganze Nacht lang nur zwei Stockwerke über mir zu wissen, überstieg
meine Vorstellungskraft. Ich sah mich bereits die gesamte Nacht schlaflos in
meiner Wohnung auf- und abtigern und mir krampfhaft plausible Ausreden
überlegen, mit denen ich zu ihm nach oben gehen konnte.
Leider fielen
mir eher unbrauchbare Ausflüchte wie: "Ich kann nicht schlafen/in meinem
Bett ist es so kalt/in meiner Wohnung ist ein Einbrecher/ich glaube, ich
bekomme einen Herzinfarkt/ich habe vergessen, heute Lisas Blumen zu
gießen" ein. Egal, jetzt würde ich erst einmal den langen Abend mit ich
zusammen genießen.
Wir standen
vor meiner Wohnungseingangstür. Ich war immer noch total aufgekratzt von den
wunderbaren Songs, die ich liebte und endlich live hören durfte und natürlich
davon, dass es Lucas war, mit dem ich dieses Erlebnis geteilt hatte. Schlagartig
begriff ich, dass dieser wunderschöne Abend zu Ende war und Lucas demnächst in
Lisas Wohnung nach oben verschwinden würde. Dass Lisa übermorgen zurückkäme und
wir uns dann nur noch selten und immer in Lisas Gegenwart sehen würden. Ich
hätte heulen mögen.
Als ich mich
für den Abend angezogen und geschminkt hatte, fühlte ich mich erwartungsvoll
und aufgedreht wie ein Kind vor der Weihnachtsbescherung. Die Zeit war meiner
Meinung nach viel zu schnell verflogen. Den gesamten Abend lang hatte er sich -
zu meinem grenzenlosen Bedauern - wie ein perfekter Gentleman benommen. Es
hatte einige Momente gegeben, wo ich mir sicher gewesen war, er würde gleich
nach meiner Hand greifen oder mich an sich ziehen. Beispielsweise, als wir mitten
im tobenden Hexenkessel der Olympiahalle standen und ekstatisch zu "Moves
like Jagger" getanzt hatten. Er hatte mich mit eindeutigem Begehren in den
Augen angesehen - oder war hier wieder der Wunsch der Vater des Gedankens? -
und wir bewegten uns wie von einem Magneten angezogen aufeinander zu. Aber dann
drängte sich so ein Blödmann von hinten dazwischen, weil er nach vorne an die
Bühne wollte und der magische Augenblick war vorüber. Danach hatte sich Lucas,
obwohl wir ständig herumalberten, leider sehr korrekt und distanziert verhalten.
Jetzt beugte
er sich nach vorn und gab mir die obligatorischen Wangenküsschen.
»Nacht,
Tessa. Vielen Dank für deine charmante Begleitung.«
Keine
Ursache. Jederzeit wieder zu Diensten! Ich spiele liebend gerne Lückenbüßerin!
Ich strengte
mich ungeheuer an, mein loses Mundwerk im Zaum zu halten. Zu gerne hätte ich
mich an seinen Hals geworfen und ihn - ganz im Stil einer völlig verkitschten
Liebesszene - angefleht, mich jetzt nicht alleine zu lassen. Ich hatte panische
Angst vor dem Moment, in dem er gegangen war und ich meine Wohnung allein
betreten würde. Wie um Himmels willen sollte ich es nach diesem wundervollen
Abend ohne ihn aushalten? Mit dem Wissen, dass er nur zwei Stockwerke über mir
die Nacht allein verbrachte? Noch immer stand er vor mir und blickte mir
forschend ins Gesicht. Was war denn so interessant? Sah er nach, ob meine Narbe
noch zu sehen war?
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