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So unerreichbar nah

So unerreichbar nah

Titel: So unerreichbar nah Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marleen Reichenberg
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hatte mittlerweile
das Wasser voll aufgedreht und sang unter Dusche "One more Night",
laut und nicht ganz so treffend wie im Original, aber klar erkennbar.
    Mit einem
zentnerschweren Sack an Gewissensbissen nahm ich das Gespräch an. Ich musste
mir eine Ausrede einfallen lassen, um unsere Unterhaltung kurz zu halten, bevor
Lucas hereinplatzte und sie ihn vielleicht noch hören konnte. Trotz allem
Vertrauen in mich würde es auch ihr komisch vorkommen, wenn sich Lucas samstagmorgens
um neun in meiner Wohnung aufhielt. Sicher wollte sie wissen, wie der gestrige
Abend gewesen war. Aber weit gefehlt. Sie klang panisch.
    »Tessa, mir
ist was Furchtbares passiert. Ich bin schwanger«, schlug mich meine Freundin
ohne Einleitung verbal k.o.
    Entsetzt
schloss ich die Augen und riss sie erschrocken wieder auf, um zu sehen und zu
hören, was mein derzeitiger Mitbewohner tat. Das Wasser rauschte. Er duschte
und sang noch.
    »Lisa, warte.
Wie kannst du das wissen? Ich denke, du bist noch bis morgen früh in New York?«
    »Ja klar, ich
bin hier in meinem Hotelzimmer in Manhattan. Es ist mitten in der Nacht und ich
habe eben einen Schwangerschaftstest gemacht, den ich mir von zuhause mitgenommen
hatte. Ich bin seit ein paar Tagen überfällig. Tessa, was um Himmels Willen
soll ich denn jetzt tun?«
    Ich kam mir
vor wie von einer Dampfwalze überfahren. Mein Magen brannte, als ob ich Säure
geschluckt hätte.
    Mittlerweile
liefen mir Tränen übers Gesicht. Glücklicherweise konnte mich Lisa nicht sehen.
Und zu allem anderen Übel vernahm ich, wie Lucas das Wasser abdrehte. Leise
erklärte ich:
    »Lisa, ich
kann jetzt nicht sprechen, ich bin heute ausnahmsweise in der Praxis. Mein
Patient ist gekommen. Hör mir zu, dieses Gespräch zwischen uns hat nicht
stattgefunden. Du musst es als allererstes Lucas sagen.«
    Schnell, noch
bevor sie etwas entgegnen konnte, drückte ich das Gespräch weg und ließ das
ausgeschaltete Handy auf den Boden fallen. Ich wischte mir mit einem Zipfel der
Bettdecke die Tränen fort. Meine Gedanken liefen Amok.
    Sämtliche
Hochgefühle über diese letzte Nacht und darüber, dass Lucas immer noch bei mir
war und nicht die Flucht ergriffen hatte, waren lähmendem Entsetzen gewichen.
Was hatte ich - hatten wir - getan?
    Er war Lisas
Freund und nun erwartete sie sein Kind! Ich konnte jetzt nicht in aller Ruhe
mit ihm frühstücken. Er würde mir sofort anmerken, dass etwas nicht stimmte.
    Als er aus
dem Badezimmer kam, lediglich ein weißes Handtuch dekorativ um die Hüften
geschlungen, war ich bereits aufgestanden und in meinen Bademantel geschlüpft.
Ich hatte mir, da mein Badezimmer belegt war, in der Küche den Mund ausgespült,
ein Glas Wasser getrunken und vor dem Spiegel in der Diele notdürftig meine zerzausten
langen Locken ausgekämmt, um dem, was ich jetzt tun musste, gewachsen zu sein. Ich
schickte ein innerliches Stoßgebet zum Himmel, dass meine Schauspielkünste mich
nicht im Stich lassen würden. Lucas trat verheißungsvoll lächelnd auf mich zu. Am
liebsten hätte ich mich heulend in seine Arme geworfen. Stattdessen stoppten
ihn meine flach ausgestreckte Hand und meine unbewegte Miene. Noch bevor er
etwas sagen konnte, erklärte ich kühl:
    »Lucas, ich
glaube, es ist besser, du gehst jetzt.«
    Er sah mich
ungläubig an.
    »Tessa? Was
ist los? Wir wollten zusammen frühstücken und dann miteinander reden, wie es
jetzt weitergeht mit uns.«
    Ich
schüttelte den Kopf.
     »Mir ist
eben klar geworden: Mit uns geht es nicht weiter, Lucas. Wir hatten unseren
Spaß letzte Nacht. Mehr war da nicht. Lisa können wir völlig raushalten, da es
nichts zu bedeuten hat. Wir waren beide aufgekratzt, von unseren Drinks
beschwipst, die wir danach in dieser Bar getrunken haben und hatten einen
One-Night-Stand. Ich war scharf auf dich und du auf mich. Und wir haben unsere
Lust aneinander befriedigt. Ohne jede Verpflichtung. Lucas, du bedeutest mir
nichts, bist eigentlich gar nicht mein Typ. Also halten wir einfach den Mund.
Diese Nacht hat nie stattgefunden. Du bist gestern Abend, nachdem du mich hier
abgesetzt hast, nachhause gefahren.«
    Mir war
speiübel. Alles in mir schrie danach, diese Lügen sofort zurückzunehmen und ihm
zu gestehen, dass ich ihn liebte, seit ich ihn zum ersten Mal vor meiner Tür
gesehen hatte. Aber ich schaffte es, überzeugend zu wirken.
    Lucas Miene
hatte sich während meiner Worte immer mehr verdüstert. Jetzt war er sauer. Stinksauer.
Ich erkannte es an der Zornesader, die auf

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