So unerreichbar nah
Hexe. Sie kapierte, dass ich sie in der Hand
hatte. Und versprach zähneknirschend, dass sie noch heute meinen Kollegen erklären
würde, sie habe ein lukrativeres Berufsangebot erhalten und würde deshalb
umgehend bei uns aussteigen.
Erst jetzt
erschien eine Kellnerin an unserem Tisch, die sehr erstaunt dreinsah, als sich
Franziska rasch erhob, in ihren Mantel schlüpfte und erklärte, ihr sei der
Appetit vergangen.
»Wir sind
heute leider personalmäßig unterbesetzt, weil eine Kollegin kurzfristig krank
wurde. Deshalb komme ich erst jetzt«, erklärte mir die Bedienung
entschuldigend. Ich erwiderte beruhigend, dass meine Begleitung leider eine
schlechte Nachricht erhalten hätte und nicht etwa wegen des mangelnden Service
gegangen sei und bestellte mir einen Latte Macchiato, den ich genüsslich
austrank. Währenddessen ließ ich noch einmal in aller Ruhe die
"Aussprache" mit der Klausen an meinem inneren Auge vorüberziehen.
Um es mit Franziskas Worten auszudrücken: Mein Konfliktmanagement war,
zumindest diese Angelegenheit betreffend, ausgesprochen kompetent, qualifiziert
und professionell! Nur in anderen, gefühlsbedingten Themen reagierte ich leider
ganz und gar nicht so fachkundig und versiert…Als ich wieder zuhause war,
störte mich an dem mit ihr vereinbarten Deal einzig und allein die Tatsache,
dass ich Johannes und Max niemals ihre Dämlichkeit und Gutgläubigkeit Franziska
gegenüber vorhalten konnte und mir darüber hinaus wahrscheinlich auch noch
deren Bedauern über ihren Weggang anhören musste.
Aber, so
tröstete ich mich, immerhin entzog ich ihr nicht die Berufsgrundlage, wahrte
den guten Ruf unserer Praxis und hatte mein eigentliches Ziel, sie nicht mehr
wiedersehen zu müssen, erreicht!
PLAY WITH FIRE
Zwei
Wochen darauf durfte ich die Krücken endlich in den Keller stellen. Meine
Stirnnarbe, die nur noch ein feiner roter Strich war, überschminkte ich mit
Abdeckcreme und da ich mich endlich wieder frei bewegen konnte, ging es mir
auch gefühlsmäßig besser. Die Trennung von Paul hatte ich überwunden. Er hatte
sich glücklicherweise nicht mehr gemeldet. Lisa, die mich nach wie vor mehrfach
in der Woche besuchte oder mit mir telefonierte, erzählte mir eines Abends am
Telefon, sie wäre ihm in der Stadt begegnet und er sei in Begleitung einer
jungen Frau gewesen, die er ihr als seine Freundin vorstellte.
»Die kann dir
optisch nicht das Wasser reichen und sie wirkt ziemlich schüchtern. Ich habe
das dumpfe Gefühl, er hat sich ganz schnell Ersatz gesucht, um zu verwinden,
dass du ihn buchstäblich rausgeworfen hast!«
Paul hatte,
im Widerspruch zu seinem forschen Auftreten, schon immer leichte Minderwertigkeitskomplexe
gezeigt. Ich musste da nur an seine vermeintliche Größe von einsachtzig denken
oder seine Probleme mit meinen Schuhabsätzen. Ich wünschte ihm gedanklich alles
Gute. Nein, das wünschte ich eher seiner neuen Freundin - die würde es brauchen
können - und dachte nicht mehr weiter über ihn nach. Vor allem, weil mir Lisa
eben wieder etwas über ihren geliebten Lucas erzählte.
Je nachdem,
wie ich gefühlsmäßig drauf war, bedauerte ich es oder war froh darüber, ihn
seit annähernd vierzehn Tagen nicht mehr zu Gesicht bekommen zu haben. Da ich
beinahe wieder Vollzeit arbeitete - es war seit Franziskas plötzlichem Abgang
sehr angenehm, sich in der Praxis aufzuhalten - hatte ich zumindest tagsüber
keine Zeit, Sehnsucht nach Lucas zu empfinden. Und wie gesagt, sah und hörte ich
ihn längere Zeit nicht persönlich, ging es mir besser. Das war wie bei Drogen-
oder Alkoholsüchtigen: Je länger die Abstinenz andauert, desto leichter fällt
der Verzicht auf das Suchtmittel. Der Trick dabei ist, keinen Rückfall zu
erleiden, also das Objekt der Begierde zu meiden, sonst ist alles wieder beim
Alten!
Wie ich eben
begriff, hatte meine arglose, wohlmeinende Freundin einen weiteren Anschlag
auf mein instabiles Gefühlsleben vor und wollte meine Abstinenz sabotieren.
»Tessa, seit
er eine Geschäftsführerin für das "Chez amis» eingestellt hat, dort nur
noch sporadisch nach dem Rechten sieht und mehr Freizeit hat, versteht er
nicht, dass ich abends oft bis in die Nacht hinein arbeite. Vor allem, wenn wir
- so wie gerade eben - eine große Werbekampagne auf die Beine stellen. Und
jetzt ist er ganz und gar nicht davon angetan, dass ich in einer Woche zusammen
mit Wolfgang für sieben Tage nach New York fliegen möchte. Genau in dieser
Woche findet das Maroon-
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