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So unerreichbar nah

So unerreichbar nah

Titel: So unerreichbar nah Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marleen Reichenberg
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klingelte es dreimal kurz hintereinander.
Ich wusste, dass es Lisa war und öffnete mit zentnerschwerem Herzen die Tür.
Mit tiefen dunklen Augenringen stand sie da und blickte mich flehentlich an.
    »Ich weiß,
dass du gerade eben erst heimgekommen bist. Ich habe deinen Rennwagen röhren
hören«, erklärte sie mit einem schwachen Lächeln.
    »Darf ich
trotzdem reinkommen?«
    Ich nickte
wortlos und deutete in Richtung Wohnzimmer.
    »Geh schon
mal vor. Ich komme gleich nach, muss mir nur noch kurz die Hände waschen.«
    Im Bad
starrte ich verzweifelt mein blasses Gesicht im Spiegel an. Ich kam mir
abgrundtief schäbig und gemein vor und wäre am liebsten meilenweit vor meiner
Freundin davongelaufen. Ich starb fast an meinem schlechten Gewissen, obwohl
ich mir sicher war, dass Lisa nichts von meiner gemeinsamen Nacht mit Lucas
erfahren hatte. Sie war zu mir gekommen, um mit mir über ihre Schwangerschaft -
ich erstickte fast an diesem Wort - zu sprechen.
    Meine
Vermutung bestätigte sich, als ich ihr wenig später gegenüber saß.
    Unglücklich
starrte sie mich an.
    »Tessa, ich
weiß nicht, was ich tun soll. Ich habe Lucas erzählt, dass ich ein Baby
erwarte. Für ihn ist alles klar: Wir werden Eltern und er freut sich auf das
Kind. Ich liebe ihn. Aber ich bin hin- und hergerissen. Ich will noch keine
Kinder. Wir kennen uns erst seit ein paar Monaten. Nur, weil ich mir vor sieben
Wochen diesen Magen-Darm-Virus eingefangen und mich zweimal übergeben habe, hat
meine Pille versagt. Ich Idiot habe zugelassen, dass wir ohne Zusatzschutz
danach miteinander geschlafen haben. Wir hatten uns wegen meines geplanten New
York-Trips gestritten und dann spontan im Bett versöhnt.«
    So genau
wollte ich es nun wirklich nicht wissen. Bilder von Lucas und Lisa in
leidenschaftlicher Umarmung rasten durch meinen Kopf. Es tat höllisch weh und ich
zuckte zusammen. Lisa hatte es glücklicherweise nicht bemerkt. Sie rechtfertigte
sich weiter:
    »Das ist doch
keine gute Voraussetzung dafür, ein Kind zu bekommen und großzuziehen. Ich will
diese Schwangerschaft abbrechen lassen. Aber Lucas will nichts davon hören. Er
liebt Kinder und sagt, dieses Baby hätte ein Recht darauf, zu leben.«
    Jetzt war es
an mir, sie entsetzt anzustarren. Sie wollte Lucas´ Kind nicht?
    Ja, war sie
denn jetzt völlig von allen guten Geistern verlassen?
    Und jetzt
sollte ich den advocatus diaboli spielen und ihr auch noch gut zureden? In diesem
Moment hasste ich meine Freundin für das was sie mir, ohne es zu wissen, antat.
    Ich setzte
mich gerade hin und straffte meine Wirbelsäule. Und dann legte ich los und
schaufelte mir mein eigenes Grab.
    »Lisa, bist
du wahnsinnig? Du sagst, du liebst ihn und willst das Kind, auf das er sich
freut, nicht bekommen? Sei froh, dass er es so aufnimmt und zu dir steht, sogar
gerne Vater werden möchte. Ihr beide seid keine achtzehn mehr, lebt in
finanziell gesicherten Verhältnissen und ob ihr euch nun ein paar Monate oder
Jahre kennt, spielt doch keine Rolle. Er beweist dir gerade, dass er dich nicht
im Stich lässt. Du kannst dich auf ihn verlassen und das ist weiß Gott sehr
viel wert.«
    Lisa war noch
nicht überzeugt.
    »Ja, aber ich
habe grässliche Angst. Angst vor der Schwangerschaft, vor der Geburt und davor,
keine gute Mutter zu sein. Ich kann mit Kindern nicht umgehen, das hat man doch
schon an dem Wochenende mit Johanna und Tim gesehen! Außerdem liebe ich meinen
Job, obwohl er sehr zeitintensiv ist. Wie soll das mit einem Kind gehen?«
    Mein
Engelchen war stinksauer. Lass ihr doch ihren Willen! flüsterte es mir
zu. D ann ist es zwischen ihr und Lucas aus. Das verzeiht er ihr nicht. Und
du kannst ihn haben!
    Nein, ich
konnte ihn nicht haben. Nicht nach all den Lügen, die ich ihm an den Kopf
geworfen hatte. Ich hatte dies in selbstloser Absicht getan, damit einer
glücklichen Familiengründung nichts im Wege stand.
    Außerdem
hatte ich dutzendfach in meiner Praxis miterlebt, wie sehr Frauen ihre
Entscheidung, ein Kind abzutreiben, oft jahrzehntelang danach noch bitter
bereuten. Sie sahen Kinder auf der Straße und rechneten sich ständig aus, wie
alt ihr Kind jetzt wäre, wie es ausgesehen hätte und was aus ihm geworden wäre,
wenn es hätte leben dürfen. Ganz schlimm wurde es, wenn sie aus irgendwelchen
Gründen später trotz Kinderwunsch nicht mehr schwanger wurden. Das konnte und
wollte ich Lisa ersparen, wenn es mir gelang, sie zu überzeugen.
    Mit
Engelszungen redete ich auf meine Freundin ein und

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