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So unerreichbar nah

So unerreichbar nah

Titel: So unerreichbar nah Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marleen Reichenberg
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kämpfte um das Leben ihres
ungeborenen Kindes, welches mein Leben - um es melodramatisch auszudrücken -
zerstörte. Ich erklärte ihr, dass man heutzutage als Frau sehr wohl Job und Kinder
haben konnte, dass ein Baby sehr schnell groß wurde und dass sie zu ihrem
eigenen Nachwuchs ein ganz anderes Verhältnis haben würde als zu fremden
Kindern. Und schließlich hatte ich sie überzeugt. Als wir uns beide gegen
Mitternacht völlig erschöpft voneinander verabschiedeten, umarmte sie mich und
flüsterte:
    »Tessa, das
vergesse ich dir nie. Danke, dass du mir immer zuhörst und gute Ratschläge
gibst.«
    Ich lächelte
sie schwach an.
    »Schon gut, Süße,
dafür sind Freundinnen ja da.«
    Paradoxerweise
fühlte ich mich nun etwas besser. Meine Schuldgefühle, den Freund meiner
Freundin verführt zu haben, erdrückten mich beinahe. Ohne meine Aufforderung
wäre Lucas nach oben gegangen und nie in meinem Bett gelandet. Also war ich die
böse Hexe. Und konnte wenigstens einen Teil meiner Schuld dadurch abtragen,
dass ich Lucas, Lisa und Leon/Leander/Lennart/Leif oder Lea/Lara/Linda/Larissa
ein glückliches, ungestörtes Familienleben führen ließ.
    Wie schon so
oft torpedierte Lisa meine guten Vorsätze, diese kleine Familie künftig einfach
in Ruhe zu lassen. Bevor sie leichtfüßig in Richtung Treppe verschwand,
erklärte sie:
    »Du wirst
bestimmt eine wundervolle Patentante werden, Tessa. Ich zähle fest auf dich.
Vor allem beim Babysitten!«
    Vor meinem
inneren Auge erschien ein Bild, wie ich, faltig, ungeschminkt, mit
graumeliertem Haardutt und Brille gerührt lächelnd ein schreiendes Baby in
meinen Armen wiegte und - als ich den Schlüssel im Türschloss hörte - säuselte:
    »So,
Schätzchen, Mama und Papa sind wieder da!«
    Idiotin!
Du sollst nicht die Oma, sondern die Patentante werden!
    Und als
solche wäre ich, so wie ich meine Freundin kannte, eng in die Familie
eingebunden. Zu eng! Alles in mir wehrte sich gegen die ehrenvolle Rolle, die
mir Lisa zugedacht hatte. Ganz zu schweigen davon, dass der glückliche Papa
garantiert etwas dagegen haben würde, seine verhängnisvolle Affäre als neues
Familienmitglied zu begrüßen. Außerdem traute ich es Lisa glatt zu, dass sie
aus Eitelkeit anstatt Lucas meine Wenigkeit - oder noch schlimmer, uns beide -  zur
Unterstützung bei der Geburt dabei haben wollte.
    Aber noch, so
tröstete ich mich, war das Kind nicht da. In sieben Monaten konnte alles ganz
anders aussehen. Wie anders, das ahnte ich nicht.
     
    Die kommenden
Wochen wurden sowohl für Lisa als auch für mich verdammt hart. Sie litt unter
heftiger Morgenübelkeit und kotzte sich buchstäblich allmorgendlich die Seele
aus dem Leib. Und da sie Lucas unter Androhung wüstester Bestrafung verbot, bei
ihr zu schlafen und ihr in diesem entwürdigenden Zustand beizustehen, blieb
dieser Part mir überlassen.
    »Verdammt,
Tessa. Jetzt weiß ich, warum Männer keine Kinder bekommen. Ich dachte, ich
hätte noch eine Schonfrist bis zur Geburt. Aber schon jetzt stülpt sich mir
täglich der Magen von innen nach außen!«
    Sie hing
würgend und keuchend über ihrer Toilettenschüssel und ich stand wie jeden Tag
mit einer Tasse frisch gebrühtem Kamillentee - dem einzigen Getränk, welches
sie bei sich behielt - daneben. Glücklicherweise beschränkte sich ihre miese
Verfassung auf die Morgenstunden.  Morgens um halb sieben ging ich zu ihr hoch,
kochte ihr den Tee und um halb neun fuhren wir beide zur Arbeit. Abends
besuchte ich sie nie, da Lucas beinahe täglich nach seiner Arbeit vorbei kam.
    Seit dem
Morgen nach unserer gemeinsamen Nacht hatten wir uns nicht mehr gesehen. Oder
besser gesagt, er mich nicht. Ich stand allabendlich in meiner dunklen Küche am
Fenster und starrte hinaus, um beobachten zu können, wie er mit seinem Wagen
vorgefahren kam, diesen unten auf der Straße abstellte, ausstieg und zur
Haustür eilte.
    Prima,
jetzt bist du auch noch zur Stalkerin geworden!
    Und ich
musste mich jedes Mal mit aller Gewalt davon abhalten, meine Wohnungstür zu
öffnen, um ihm gegenüber zu stehen und seine Stimme zu hören. Einzig die unumstößliche
Tatsache, dass er mich erneut mit diesem abgrundtief verächtlichen Blick
ansehen würde, den er bei seinem Abgang aus meiner Wohnung drauf gehabt hatte, ließ
mich vernünftig bleiben.
     
    Meine
Vernunft wurde von Lisa ausgehebelt. Ich war eben von einem anstrengenden Tag
in der Praxis nachhause gekommen und zog meinen Mantel aus, als meine
Türklingel anschlug. Lisa

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