So unselig schön
bat Alois festzustellen, ob Buthler noch in München war. »Lass dir den Namen seines Hausarztes geben. Ich will wissen, ob er an dem Wochenende, als Nadine ermordet wurde, wirklich mit einer Sommergrippe im Bett lag. Und prüfe auch, ob er für den fraglichen Zeitraum einen Flug nach München gebucht hat, und wo er wohnt, wenn er sich hier aufhält. Hat er ein Haus gemietet oder eine Wohnung, oder wohnt er im Hotel?«
»Was ist mit der ärztlichen Schweigepflicht und außerdem, wie kommst du jetzt auf Buthler?« Alois verschränkte die Arme vor der Brust. »Bei Fuhrmann sind wir auf dem richtigen Weg. Das ist nur noch eine Frage der Zeit.«
Dühnfort berichtete von seinem Gespräch mit Beatrice Mével. »Wir sind uns einig, dass der Täter Baudelaires Gedicht malt. Oder nicht? Fuhrmann kann nicht malen. Lichtenberg ist akademisch ausgebildeter Künstler, und Buthler hat einige Semester Malerei studiert. Mit Lichtenberg sind wir durch …« Dühnfort dachte wieder an die Puppe in der Puppe. »Und wie du so treffend gesagt hast«, er wandte sich an Gina, »er malt sich den ganzen Scheiß, den er erlebt hat, völlig offen von der Seele. Er codiert nichts. Der Täter dagegen schon. Außerdem suchen wir nicht nur die Tatorte, sondern auch ein Atelier und eine Kulisse, in der er die Vorlage für das Bild in Szene setzt.« Dühnfort sah ein Gemälde in altmeisterlicher Manier vor sich, und dafür brauchte man Zeit, die der natürliche Verwesungsprozess nicht ließ. »Vermutlich fotografiert er das Arrangement und malt dann nach der Fotografie. Habt ihr bei Fuhrmann etwas in der Art entdeckt? Eine Kristallvase, Flakons, altmodische Stoffe, rosa Strümpfe? Er ist es nicht. Wir rennen in die falsche Richtung.«
Gina schnaubte durch die Nase. »Und was ist mit den Fakten? Die schätzt du doch normalerweise so sehr. Möglichkeit, Mittel und Motiv. Fuhrmanns Alibi ist nicht viel wert. Er hatte also sowohl die Möglichkeit als auch die Mittel. Er ist Chirurg. Und ein Motiv hat er auch. Was er mit der Wäsche seiner Frau angestellt hat, hast du ja gesehen. Das ist ziemlich verquer. Von mir aus auch codiert, wenn du unbedingt auf dieser Vokabel bestehst. Außerdem haben wir eine eindeutige Spurenlage. Zählt die etwa nicht? Er war es. Hundertpro. Wir nehmen jetzt das Bootshaus auseinander, und dann haben wir ihn.«
Dühnforts Telefon auf dem Schreibtisch klingelte. Er wandte sich ab und nahm das Gespräch an. Es war der Pförtner, der den Besuch einer Zeugin ankündigte. Sie war bereits auf dem Weg nach oben.
Gina war mittlerweile mit Alois auf den Flur getreten. Die Tür stand offen, und Dühnfort hörte, wie sie sich mit gedämpften Stimmen unterhielten.
»Gedichtinterpretationen habe ich schon in der Schule gehasst.« Alois zog eine Grimasse. »Fakten sind nun mal Fakten. Ich verstehe nicht, weshalb Tino da nicht richtig reinbeißt.«
Gina zuckte mit den Schultern und drehte den Schlüssel in den Händen. »Ich trab’ jetzt zum Staatsanwalt, egal ob unser Boss grünes Licht gibt oder nicht.«
Dühnfort trat zu den beiden. Ihr Gespräch verstummte. In Ginas Blick lag Unverständnis. Unverständnis darüber, dass er seinen Gefühlen mehr vertraute als der Spurenlage.
»Natürlich nehmen wir uns das Bootshaus vor. Aber ich glaube nicht, dass wir dort etwas finden.«
Gina stopfte die Hände in die Taschen ihrer Cargohose, als müsste sie sich zurückhalten. »Wir werden ja sehen!«
Irgendwo schlug eine Tür, von weiter vorne erklangen Schritte. Ginas Blick ging über seine Schulter und wurde kühl. Dühnfort sah sich um.
Agnes kam mit sicherem Schritt den Gang entlang und studierte die Namensschilder neben den Türen. In der Hand hielt sie ein orangefarbenes Buch. Baudelaires Gedichtband Les Fleurs du Mal .
Gina trat zur Seite. »Du bekommst Besuch. Ich besorge inzwischen den Durchsuchungsbeschluss.«
Dühnfort sah ihr nach, fühlte, was sie nun fühlte, und wäre ihr am liebsten nachgeeilt. Sah die Schultern, die seltsam steif wirkten, und ihren plötzlich schwer wirkenden Gang. Alois folgte ihr.
»Hallo, Tino.«
Wehalb fiel ihm plötzlich das Blau von Agnes’ Augen auf? Es war so blau, wie es immer gewesen war. Die grünen Sprenkel darin so grün wie eh und je, und auch seine Gefühle ihr gegenüber waren dieselben wie damals. Er tat einen Schritt auf sie zu und fühlte ein leichtes Prickeln durch seinen Körper gehen. Im selben Moment ärgerte er sich darüber.
»Hallo, Agnes.« Für einen Augenblick
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