So unselig schön
Pauschaltourist hatte gezahlt und ging. An der Schwelle stieß er beinahe mit einem Mann zusammen, der Vicki bekannt vorkam. Verdammter Mist aber auch! Sie duckte sich, huschte zur Toilettentür, zog sie langsam auf und schob sich lautlos hinein. Scheiße! Scheiße! Scheiße! Was hatte Serge Buthler hier verloren?
Mit klopfendem Herzen lehnte sie sich an die geflieste Wand und wartete, bis sich ihr Puls beruhigt hatte, dann legte sie das Ohr an die Tür und drehte leise den Riegel herum.
Buthler fragte, ob er Viktoria sprechen könne.
»Lassen Sie mich raten: Sie sind Serge Buthler, oder irre ich mich?«
Vicki verstand nicht, was er antwortete. Sie hörte nur Clara, deren Stimme erst spröde wurde und dann einen scharfen Ton annahm. »Meine Tochter ist nicht hier, und es geht Sie auch nichts an, wo sie ist. Wenn Sie nicht aufhören, ihr nachzustellen, werde ich Sie anzeigen. Stalking nennt man das, was Sie hier veranstalten.«
Klare, unmissverständliche Ansage, dachte Vicki.
»Oh, eine Mutterglucke«, erwiderte Buthler. »Ich denke, Viktoria ist alt genug, um selbst zu entscheiden, wen sie trifft.«
»Sie möchte Sie aber nicht treffen, das sollten Sie langsam verstanden haben. Und jetzt gehen Sie bitte.«
Buthler verabschiedete sich übertrieben höflich. Die Messingglocken an der Tür bimmelten, Vicki wartete noch einen Moment ab und wagte sich dann aus der Toilette. In der Küche stand Clara. Ihre blauen Augen funkelten, eine Sorgenfalte erschien an der Nasenwurzel.
»So macht man das«, sagte sie. »Keine Ausflüchte und Lügengeschichten, kein Ins-Leere-laufen-Lassen. Eine klare Stellungnahme, dass du keinen Kontakt zu ihm wünschst, sonst kapiert er das nie!«
»Okay. Du hast ja recht. Danke.«
Clara griff nach dem Glas Wasser, das noch neben dem Spülbecken stand, und trank einen Schluck. Die Haut an ihrer Nasenwurzel glättete sich, die Schultern sanken herab. »Gut. Falls er sich traut, nochmals Kontakt zu dir aufzunehmen …«
»Dann mache ich eine klare Ansage. Keine Sorge.«
Clara stellte das Glas ab. »Ein Thema haben wir noch auf der Agenda. Wo ist dein Berichtsheft?«
Uuups. Das hatte sie ganz vergessen. Mist. Schon der zweite Eintrag, der fehlte. »Irgendwie ist die Zeit so schnell vergangen.« Ihre Stimme klang dünn. Die Röte stieg ihr heiß ins Gesicht.
Steffen griff sich die Kartons mit dem Mailing und verdrückte sich damit in die Abstellkammer hinter dem Verkaufsraum.
Die Falte erschien wieder zwischen Claras Augenbrauen. Ihr Brustkorb hob und senkte sich. »Und ich werde jetzt irgendwie langsam ziemlich sauer.« Ihre Stimme klang gefährlich ruhig. »Wenn du dich nicht für deine Ausbildung interessierst, dann kannst du es auch bleibenlassen. Es gibt genügend Interessenten für diese Lehrstelle. Von meinen Lehrlingen ist bisher keiner durch die Zwischenprüfung gerasselt, und du wirst nicht der erste sein. Morgen früh ist das Heft vollständig, und am Wochenende kommst du zu mir. Dann wird gelernt. Ich werde dich abfragen, und wenn dir das nicht passt … Da ist die Tür!« Der ausgestreckte Arm wies zum Ausgang.
Erschocken starrte Vicki Clara an. Die meinte das ernst. Scheiße! Wenn Clara sie wirklich rausschmiss … was dann? Dann konnte sie es vergessen, so scheißbürgerlich zu werden, dann würde sie sich mit mies bezahlten Jobs über Wasser halten müssen, würde vielleicht nicht mal mehr die Miete bezahlen können. »Ich hole das nach. Bis morgen, beide Einträge. Versprochen. Und am Wochenende komme ich zum Lernen. Das ist ein tolles Angebot von dir … ich meine, das ist deine Freizeit …« Mist, weshalb standen ihr plötzlich die Tränen in den Augen? Vicki wischte sie weg, schluckte und versuchte ihre Fassung wiederzufinden.
Clara nahm Vicki in die Arme. »Ich meine es doch nur gut mit dir. Bist du sicher, dass du die Hilfe meiner Freundin nicht doch in Anspruch nehmen willst?«
Welche Freundin denn? Doch nicht diese Psychotante. Beinahe hätte Vicki gelacht. Aber der Schreck saß ihr noch in allen Gliedern.
***
Sie ließen die Busse am Ufer stehen. Dühnfort warf einen Blick auf den schmalen Steg, der etwa dreißig Meter durch einen Schilfgürtel zu dem kleinen Bootshaus führte, und entschied, dass zunächst nur Gina, Buchholz und er das Häuschen in Augenschein nehmen würden. Sie zogen die Schutzanzüge an und gingen über die silbrig glänzenden Planken. Die Sonne brannte ihm in den Nacken, vereinzelte Wölkchen zogen friedlich über den Himmel. Der
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