So unselig schön
Dessous.«
»Hat Ihr Mann das getan?«
»Er hat seinen verletzten Stolz an meiner Wäsche ausgetobt. Immerhin besser, als wenn er das mit mir gemacht hätte.«
»Sehen Sie sich das bitte genau an. Befindet sich etwas darunter, das nicht Ihnen gehört?«
Ungläubig sah sie ihn an. »Sie haben eine kranke Phantasie.«
»Berufskrankheit«, warf Gina ein und breitete die Stofffetzen aus.
Nochmals bat Dühnfort Verena Fuhrmann darum nachzusehen, was sie widerstrebend tat. Als sie fertig war, schüttelte sie den Kopf. »Das waren alles meine Sachen.« Sie wandte sich vom Tisch ab, ging zurück zum Fenster und starrte wieder in den Garten.
Das Gefühl, wertvolle Zeit zu verlieren, verstärkte sich und ließ Dühnfort unruhig werden. »Übernimmst du das hier?«, fragte er Gina.
»Klar. Und was machst du?«
»Mal sehen, ob ich Beatrice Mével erwische.« Gestern hatte er ihr das Gedicht gemailt. Nun wollte er mit ihr reden. Je eher, desto lieber.
Gina senkte die Stimme. »Du denkst tatsächlich, dass Fuhrmann das Unschuldslamm ist, das er uns vorspielt? Ich glaub’s ja nicht. Seit wann sind dir Beweise egal?«
»Das Gedicht ist nicht ohne Bedeutung.«
»Wir sollten Fuhrmann festnageln und die Ermittlung gerichtsfest machen. Beweissicherung, Vernehmung, Geständnis, das ist jetzt angesagt. Und was willst du? Eine Gedichtanalyse.« Ginas Stimme klang vorwurfsvoll.
Dühnfort verstand ihren Ärger. Einerseits. Andererseits wollte er jetzt und hier keine Diskussion über Bauchgefühle führen. »Halte mich auf dem Laufenden.« Es klang kurz angebunden.
***
Vom Auto aus rief er Beatrice Mével an. In einer Dreiviertelstunde hatte sie einen Gerichtstermin. Daher verabredete er sich mit ihr im alten Botanischen Garten, der dem Justizpalast gegenüberlag.
Zwanzig Minuten später parkte er in der Elisenstraße und betrat die Grünanlage. Der Verkehrslärm wurde leiser, die Fontäne des Neptunbrunnens plätscherte, zwei Spatzen saßen auf der Marmoreinfassung und zerrten an einem Stückchen Brot. Dühnfort sah sich um und entdeckte Beatrice Mével, die über einen der gekiesten Wege auf ihn zukam.
Sie stammte aus der Bretagne, hatte vor dreißig Jahren in München studiert und dabei den Mann fürs Leben gefunden. Inzwischen war sie Anfang fünfzig; eine kleine stämmige Person mit roten Haaren und grünen Augen, deren Farbe sie durch das Tragen passender Kleidungsstücke betonte. Heute war es ein moosgrüner Seidenschal. Sie reichte ihm die Hand und wies auf die Bank am Rand der Rasenfläche. »Setzen wir uns?«
Dühnfort begrüßte sie und nahm neben ihr Platz. »Es geht um das Gedicht. Hatten Sie Zeit, es sich anzusehen?«
Sie nickte und entnahm ihrer Aktentasche einen Ausdruck, den sie mit Randbemerkungen versehen hatte.
Einer der Spatzen kam herübergeflogen und setzte sich vor Dühnfort auf den Kiesweg. Erwartungsvoll legte er den Kopf schief und blickte nach oben. Ich muss dich enttäuschen, dachte Dühnfort. »Niemand mordet nach einem Gedicht«, sagte er an Beatrice Mével gewandt. »Es kann nur äußere Form für etwas anderes sein. Wie sehen Sie das?«
»Ähnlich.« Sie stellte die Aktentasche auf den Boden. »Ich bin Psychologin, nicht Literaturwissenschaftlerin. Meine Bewertung dieses Gedichts erfolgt also ausschließlich aus meiner beruflichen Sicht.« Das Papier in ihrer Hand bewegte sich im Wind. Sie strich es glatt. »Am auffälligsten erscheint mir, dass Baudelaire weder die Identität der Frau, die so grausam ermordet wurde, preisgibt noch das Motiv. Er deutet nur an und stellt Fragen. Es ist nicht der Täter, der das Bild beschreibt, sondern ein unbeteiligter Betrachter, der allerdings manchmal in die Perspektive des Täters wechselt. Die erste Frage, die sich aufdrängt: Beschreibt er tatsächlich ein Bild, steht er also tatsächlich vor einem Blatt Papier oder einer Leinwand? Oder beschreibt er die Szenerie, die sich dem Meister, der die Zeichnung erst noch anfertigen wird, darbietet? Wer ist der Meister? Der Mörder? Oder ein Dokumentar? Es ist wie eine dieser russischen Puppen. Die Puppe in der Puppe.« Beatrice Mével zog die Stirn kraus. »Der Körper der Frau – nur ihr Körper, nicht die Frau – wird als jung und unselig schön beschrieben. Baudelaire entmenschlicht das Opfer, reduziert es auf den Rumpf, der seine unheilvollen Reize acht- und sorglos präsentiert. Unheilvolle Reize, lockende Formen, die schwüle Bilder und einen düsteren Liebestraum wecken . Diese Formulierung deutet
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