So unselig schön
der Gegend verraten. Würde mich freuen, was von ihm zu hören.
Vicki starrte das Bild auf ihrem Monitor an. In Photoshop war sie nicht allzu gut. Konnte gerade mal an den Gradationskurven drehen und Kontraste einstellen. Ihre Bilder ließ sie lieber unbearbeitet. Demnach würde das Bunte, das vielleicht eine Visitenkarte war, sein Geheimnis für sich behalten. War sicher besser so. Wenn sie nämlich herausfinden würde, dass das was zu bedeuten hätte, müsste sie damit zur Polizei latschen. Den unnötigen Ärger, wenn sie zugeben musste, nicht alle Bilder rausgerückt zu haben, wollte sie sich ersparen. Andererseits, wenn das vielleicht wirklich eine Spur war, konnte sie das Bild doch nicht einfach verschwinden lassen. Dann käme vielleicht ein Mörder ungeschoren davon, weil sie … Aber was für ein Hinweis sollte dieses Stück Papier schon sein? Bestimmt hatte es nichts mit dem Mord zu tun. Tausend Leute hatten ihren Müll dort liegen lassen. Man würde sie auslachen. Wer weiß, ob nicht der Wind die Postkarte weggeweht hatte oder irgendwelche Kids sie eingesteckt hatten, die dort heimlich rauchten und Bier tranken.
Trotzdem blieb ein komisches Gefühl.
Kai war gut in Photoshop, er bearbeitete alle seine Bilder. Sollte sie ihm ein Tauschgeschäft vorschlagen? Parisinfos gegen Bildbearbeitung? Warum eigentlich nicht? Schaffte er es nicht, die Karte und vor allem die Schrift erkennbar zu machen, würde sie die Aufnahme einfach löschen. Und gelang es ihm, dann konnte sie immer noch entscheiden, was sie damit anstellen würde.
Sie öffnete ICQ , sah, dass Kai online war, und schrieb ihre Anfrage, allerdings ohne zu erwähnen, dass die Aufnahme in Zusammenhang mit einer Leiche stand, die sie gefunden hatte.
Keine Minute später antwortete er. Klar, mach ich. Schick die Datei an meinen Mailaccount. Ich hoffe, sie ist hoch aufgelöst, bitte nicht komprimieren oder verkleinern. Ich schaue sie mir sofort an. Ist mir ein Vergnügen. Gruß. Kai.
Vicki mailte ihm das Bild, stand dann auf und sah nach Epiktet. Er hatte seinen Kopf in den Panzer gezogen. Ob er schlief? Was er wohl träumte?
Erst zehn. Zu früh, um ins Bett zu gehen. In der Glotze kam nur Mist. Am besten, sie lernte noch etwas Sozialkunde.
Zehn Minuten später legte sie das Heft wieder weg. Sie konnte sich nicht konzentrieren und ging hinaus in ihren Minigarten.
Die Nacht war mild. Irgendwo grillte jemand. Der Geruch von Bratwürsten zog herüber, dazu Gesprächsfetzen und das hohe Lachen einer Frau und eines Kindes.
Manchmal vermisste Vicki ihre Mutter, an die sie herzlich wenige Erinnerungen hatte. Es gab ein paar Fotos, sonst nichts. Sie hatte sich einfach aus diesem Leben davongemacht, ohne tschüs zu sagen, ohne ihr irgendwas mitzugeben, an das sie sich hätte halten können. Im Gegenteil. Da war nur diese Dunkelheit gewesen, die Vicki jahrelang umkreist hatte wie ein Trabant, ihr dabei immer näher gekommen war, bis sie bereit gewesen war, sich vollends hineinzustürzen, wie in ein schwarzes Loch. Du zerstörst dich selbst, hatte Adrian gesagt. Stück für Stück. Warum? Ist es die Wut auf deine Mutter? Wenn ja, dann pack sie weg. Sie macht dich kaputt.
Ein Auto hupte irgendwo. Vicki ging hinein. Der Bratwurstgeruch hatte ihr bewusst gemacht, dass sie noch nichts gegessen hatte. Sie kochte eine Handvoll Nudeln und vermische sie mit Margarine, etwas Knoblauch und Salz. Darüber streute sie Kresse, die sie selbst zog. Dazu trank sie ein Glas Leitungswasser. Danach bezog sie das Bett endlich frisch, räumte das Regal auf und fegte den Dielenboden. Es war halb zwölf, als ein Signalton mitteilte, dass eine Mail eingegangen war.
Sie war von Kai. Geschafft. Sieht doch gut aus. Oder? Ich hoffe, das hilft dir. Wegen Paris melde ich mich morgen. Bin jetzt zu müde. Gute Nacht. Kai.
Vicki öffnete den Anhang, der das bearbeitete Bild enthielt, und war verblüfft. Kai konnte hexen. Der vorher unscharfe Bereich war nun erkennbar, die Schatten waren zurückgedrängt, und das Bunte erwies sich als schmale Karte.
Der Schriftzug Hotel Atlantic Kempinski, Hamburg prangte darauf. Links war ein Foto des Hotels, die rechte Hälfte war unbedruckt. Jemand hatte mit Kugelschreiber etwas auf diese weiße Fläche geschrieben. Es war beinahe unleserlich. Mühsam entzifferte Vicki es: Buthler 19 . 00 Uhr.
***
Wieder hörte er das Streichquartett von Henryk Górecki, obwohl er diese Musik als quälend empfand. Er sah dabei Züge über Gleise jagen, einem namenlosen
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