So wahr uns Gott helfe
Bedacht.
»Vor zwei Jahren hatte ich einen Fall. Der Name des Mandanten war Louis Roulet. Er war …«
»Ich erinnere mich an den Fall, Mr. Haller. Sie sind angeschossen worden. Aber das ist, wie Sie selbst gesagt haben, zwei Jahre her. Und soweit ich weiß, haben Sie danach noch eine Weile als Anwalt praktiziert. Ich erinnere mich an die Zeitungsmeldungen über Ihr Comeback.«
»Richtig«, gab ich zu. »Es war nur so, dass ich zu früh wieder angefangen habe. Ich hatte einen Bauchschuss abbekommen und hätte mir mehr Zeit lassen sollen. Stattdessen konnte ich es kaum erwarten, wieder einzusteigen. Prompt begann ich unter Schmerzen zu leiden, und die Ärzte eröffneten mir, ich hätte einen Leistenbruch. Ich musste erneut operiert werden, und es traten Komplikationen auf. Es war nicht richtig gemacht worden. Die Schmerzen wurden schlimmer, und ich kam ein zweites Mal unters Messer. Und um es kurz zu machen, ich musste eine Weile pausieren. Ich beschloss, es diesmal langsamer anzugehen und zu warten, bis ich mich wieder hundertprozentig fit fühle.«
Die Richterin nickte mitfühlend. Vermutlich war es richtig gewesen, meine Schmerzmittelsucht und den Entzug nicht zu erwähnen.
»Finanziell musste ich mir keine Gedanken machen«, fuhr ich fort. »Ich habe etwas Geld zurückgelegt und außerdem von der Versicherung eine Abfindung erhalten. Deshalb habe ich mir mit dem Wiedereinstieg Zeit gelassen. Aber jetzt bin ich wieder so weit. Ich wollte gerade eine Annonce auf der Rückseite des Branchenfernsprechbuchs schalten.«
»Dann trifft es sich ja vermutlich bestens, dass Sie gleich eine ganze Kanzlei erben, oder?«, bemerkte die Richterin.
Ich wusste nicht, wie ich auf ihre Frage oder den süffisanten Unterton darin reagieren sollte.
»Alles, was ich dazu sagen kann, ist, dass ich mich gut um Jerry Vincents Mandanten kümmern werde.«
Die Richterin nickte, vermied es aber, mich dabei anzusehen. Mir war klar, was das bedeutete. Sie wusste irgendetwas. Etwas, das sie störte. Vielleicht doch von meinem Entzug.
»Den Unterlagen der Anwaltskammer zufolge sind Sie mehrmals verwarnt worden«, sagte sie.
Da hatten wir es wieder. Sie würde die Fälle doch einem anderen Anwalt zuschanzen. Wahrscheinlich einem ihrer Förderer aus Century City, der sich nicht einmal in einem Strafrechtsverfahren zurechtfände, wenn seine Mitgliedschaft in einem Nobelclub davon abhinge.
»Das ist alles lange her, Euer Ehren. Lauter Formsachen. Ich habe einen guten Stand bei der Kammer. Ich bin sicher, man wird Ihnen das jederzeit bestätigen, wenn Sie heute dort anrufen.«
Sie bedachte mich mit einem langen Blick, bevor sie sich wieder den Papieren zuwandte, die vor ihr auf dem Schreibtisch lagen.
»Na schön«, sagte sie schließlich.
Sie setzte ihre Unterschrift auf die letzte Seite des Dokuments. Ein aufgeregtes Kribbeln breitete sich in meiner Brust aus.
»Hier ist der Beschluss, Ihnen die Kanzlei zu übertragen«, erklärte die Richterin. »Möglicherweise brauchen Sie dieses Dokument, um Zutritt zu Vincents Büro zu erhalten. Und lassen Sie mich Ihnen noch eines sagen. Ich werde Sie im Auge behalten. Ich verlange bis Anfang nächster Woche eine aktualisierte Aufstellung Ihrer Fälle. Den Status jedes Falls auf der Mandantenliste. Ich möchte wissen, welche Mandanten bei Ihnen bleiben und welche sich einen anderen Anwalt suchen. Danach erwarte ich zweiwöchige Status-Updates zu allen Fällen, die Sie übernommen haben. Habe ich mich klar ausgedrückt?«
»Auf jeden Fall, Euer Ehren. Wie lange?«
»Was?«
»Wie lange wollen Sie die zweiwöchentlichen Updates?«
Sie blickte mich an, und ihre Miene verhärtete sich.
»Bis ich Ihnen sage, dass Sie damit aufhören können.«
Sie reichte mir den Beschluss.
»Sie dürfen jetzt gehen, Mr. Haller. Und an Ihrer Stelle würde ich mich schleunigst auf den Weg machen, um meine neuen Mandanten vor einer unrechtmäßigen Durchsuchung und Beschlagnahmung ihrer Akten seitens der Polizei zu schützen. Sollten Sie dabei Probleme bekommen, können Sie mich jederzeit anrufen. Ich habe meine Privatnummer auf den Beschluss geschrieben.«
»Ja, Euer Ehren. Danke.«
»Viel Erfolg, Mr. Haller.«
Ich stand auf und wandte mich zum Gehen. An der Tür blickte ich mich noch einmal kurz um. Sie hatte den Kopf bereits wieder gesenkt und machte sich an die Abfassung des nächsten richterlichen Beschlusses.
Draußen auf dem Flur des Gerichtsgebäudes überflog ich das zweiseitige Dokument, das die
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