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So wahr uns Gott helfe

So wahr uns Gott helfe

Titel: So wahr uns Gott helfe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Connelly
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verpfändeten ihre Träume für ein bisschen Klimpergeld, andere hüteten sie und hielten sie in Ehren. Ich war mir nicht sicher, ob ich überhaupt noch einen Traum hatte. Ich hatte das Gefühl, ich hatte nur Sünden zu beichten.
    Nach einer Weile stieg eine Erinnerung in mir auf, und komischerweise musste ich grinsen. Es war eine meiner letzten bewussten Erinnerungen an meinen Vater, den größten Anwalt seiner Zeit. Eine alte Glaskugel – ein Erbstück aus Mexiko, das in der Familie meiner Mutter von Generation zu Generation weitergegeben worden war – hatte zerbrochen unter dem Weihnachtsbaum gelegen. Meine Mutter rief mich ins Wohnzimmer, um mir den Schaden zu zeigen und die Möglichkeit zu geben, meine Schuld zu gestehen. Mein Vater war damals bereits unheilbar krank und erledigte das Wenige an Arbeit im Arbeitszimmer neben dem Wohnzimmer. Ich konnte ihn durch die offene Tür zwar nicht sehen, aber ich hörte ihn mit seiner brüchigen Stimme murmeln:
    Das elfte Gebot – sich nicht erwischen lassen.
    Ich wusste, was er meinte. Selbst mit fünf Jahren war ich schon ein wahrer Sohn meines Vaters. Ich weigerte mich, die Fragen meiner Mutter zu beantworten. Ich weigerte mich, mich selbst zu belasten.
    Und als ich jetzt auf die Stadt der Träume hinabblickte, musste ich lauthals lachen. Ich stützte mich mit den Ellbogen auf das Geländer und senkte den Kopf.
    »Ich kann das nicht mehr länger«, murmelte ich.
    Im selben Moment tönte die Lone-Ranger-Melodie durch die offene Tür hinter mir. Ich lief zurück ins Haus und blickte auf das Handy, das ich mit den Schlüsseln auf den Tisch gelegt hatte. Auf dem Display stand UNBEKANNTER TEILNEHMER. Ich zögerte, denn ich wusste genau, bis zu welcher Stelle die Melodie spielen würde, bevor sich die Mailbox einschaltete.
    Im letzten Moment ging ich dran.
    »Spreche ich mit Michael Haller, dem Anwalt?«
    »Ja, wer ist da bitte?«
    »Hier Officer Randall Morris vom LAPD. Kennen Sie eine Elaine Ross, Sir?«
    Mein Magen krampfte sich zusammen.
    »Lanie? Ja. Was ist? Gibt es Probleme?«
    »Also, Sir, ich habe Miss Ross hier oben am Mulholland Drive angehalten, und in ihrem Zustand sollte sie besser nicht mehr fahren. Nachdem sie mir Ihre Visitenkarte gegeben hat, hat sie fast das Bewusstsein verloren.«
    Ich schloss kurz die Augen. Der Anruf schien meine Befürchtungen bezüglich Lanie Ross zu bestätigen. Sie war rückfällig geworden. Eine Festnahme würde sie wieder in die Mühle zurückwerfen und wahrscheinlich eine weitere Haftstrafe sowie einen Entzug kosten.
    »In welches Gefängnis bringen Sie sie?«, fragte ich.
    »Um ehrlich zu sein, Mr. Haller, habe ich in zwanzig Minuten Dienstschluss. Wenn ich sie also runterbringe, um sie einzuliefern, heißt das für mich zwei Stunden länger Dienst. Und ich habe diesen Monat sowieso schon reichlich Überstunden. Deshalb dachte ich, ob Sie sie vielleicht holen kommen oder jemanden vorbeischicken. Dann würde ich nochmal ein Auge zudrücken, wenn Sie wissen, was ich meine.«
    »Ja, natürlich. Vielen Dank, Officer Morris. Ich komme sie sofort holen. Sagen Sie mir nur schnell die Adresse.«
    »Kennen Sie den Aussichtspunkt über dem Fryman Canyon?«
    »Ja, kenne ich.«
    »Da sind wir. Aber beeilen Sie sich.«
    »In spätestens fünfzehn Minuten bin ich bei Ihnen.«
    Der Fryman Canyon lag nur ein paar Straßen von der zu einem Gästehaus umfunktionierten Garage entfernt, in der ein Freund Lanie mietfrei wohnen ließ. Ich konnte sie nach Hause fahren, anschließend zu Fuß zum Aussichtspunkt zurückgehen und ihr Auto holen. Das würde mich weniger als eine Stunde kosten und verhindern, dass Lanie ins Gefängnis musste und ihr Auto abgeschleppt wurde.
    Ich verließ das Haus und fuhr den Laurel Canyon hinauf. Oben am Mulholland Drive bog ich links ab in Richtung Westen. Als ich nach dem anstrengenden Tag die ersten Anzeichen von Müdigkeit spürte, öffnete ich das Fenster und ließ die kühle Nachtluft herein. Ich folgte der kurvenreichen Straße etwa eine halbe Meile. Einmal ging ich vom Gas. Meine Scheinwerfer hatten einen zerzausten Kojoten gestreift, der wachsam am Straßenrand stand.
    Endlich läutete mein Handy. Darauf hatte ich schon die ganze Zeit gewartet.
    »Warum rufen Sie jetzt erst an, Bosch?«, sagte ich statt einer Begrüßung.
    »Ich habe es schon die ganze Zeit versucht, aber der Canyon liegt in einem Funkloch«, sagte Bosch. »Wollen Sie uns auf die Probe stellen, oder was? Wohin fahren Sie? Sie haben mir doch

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