So wahr uns Gott helfe
In der Zwischenzeit habe ich mich gewaschen, umgezogen und dann die Polizei verständigt.«
»Wer hat Ihnen geholfen?«
»Das brauchen Sie nicht zu wissen.«
Ich nickte. Nicht, weil ich einer Meinung mit ihm war, sondern weil ich es bereits wusste. Ich hatte kurz an Nina Albrecht denken müssen, wie selbstverständlich sie die Tür zur Terrasse geöffnet hatte, die ich nicht aufbekommen hatte. Dieser Handgriff verriet eine auffällige Vertrautheit mit dem Schlafzimmer ihres Chefs.
Ich wandte den Blick von meinem Mandanten ab und senkte ihn zu Boden. Die Fliesen waren abgenutzt von einer Million Menschen, die eine Million Meilen gegangen waren, um Gerechtigkeit zu finden.
»Mit der Schmauchspurenübertragung hatte ich nicht gerechnet, Mick. Als sie mir erklärt haben, sie wollten diesen Test machen, war ich uneingeschränkt dafür. Ich dachte, sie würden keine Spuren an mir finden und damit wäre die Sache vom Tisch. Keine Tatwaffe, keine Schmauchspuren, kein Strafverfahren.«
Er schüttelte den Kopf bei dem Gedanken, wie knapp er davongekommen war.
»Aber Gott sei Dank gibt es Anwälte wie Sie.«
Meine Augen bohrten sich in seine.
»Haben Sie Jerry Vincent umgebracht?«
Elliot sah mich an und schüttelte den Kopf.
»Nein, das habe ich nicht. Aber es kam mir sehr gelegen, weil es mir zu einem besseren Anwalt verhalf.«
Darauf wusste ich nichts zu erwidern. Ich blickte den Flur hinunter zum Eingang des Gerichtssaals. Der Deputy wartete dort. Er winkte mir zu und deutete in den Saal. Die Pause war vorbei, und der Richter wollte weitermachen. Ich nickte und hielt einen Finger hoch. Einen Augenblick noch. Ich wusste, der Richter würde sich erst in den Saal begeben, wenn er mitgeteilt bekam, dass die Anwälte auf ihren Plätzen saßen.
»Gehen Sie schon mal rein«, sagte ich zu Elliot. »Ich muss noch kurz auf die Toilette.«
Elliot schlenderte seelenruhig auf den wartenden Deputy zu. Ich lief rasch in die nächste Toilette. Am Waschbecken klatschte ich mir kaltes Wasser ins Gesicht und bespritzte dabei meinen besten Anzug und das Hemd, aber es war mir egal.
EINUNDFÜNFZIG
A m Abend schickte ich Patrick ins Kino, weil ich das Haus für mich allein haben wollte. Mir war nicht nach Fernsehen oder einer Unterhaltung. Ich wollte ungestört sein und von niemandem beobachtet werden. Ich rief Bosch an und teilte ihm mit, ich würde das Haus nicht mehr verlassen. Der Grund dafür war nicht, dass ich mich noch auf den vermutlich letzten Prozesstag vorbereiten wollte. Ich war bereits bestens vorbereitet. Der französische Polizeiinspektor war entsprechend präpariert, um eine weitere Dosis begründeten Zweifels in den Köpfen der Geschworenen zu säen.
Und es lag auch nicht daran, dass ich jetzt wusste, dass mein Mandant schuldig war. Die wirklich unschuldigen Mandanten, die ich im Lauf der Jahre gehabt hatte, konnte ich an einer Hand abzählen. Meine Spezialität waren Schuldige. Aber ich war zutiefst geknickt, weil ich mich so einfach hatte benutzen lassen. Und weil ich die Grundregel nicht beachtet hatte – alle lügen.
Außerdem war ich geknickt, weil ich wusste, dass auch ich schuldig war. Ich musste ständig an Rilz’ Vater und seine Brüder denken, und an ihren Entschluss, nach Hause zu fahren. Sie waren nicht bereit gewesen, mitanzusehen, wie ihr toter Sohn und Bruder durch die Kloake des amerikanischen Rechtssystems gezogen wurde. Ich hatte den größten Teil der letzten zwanzig Jahre damit zugebracht, schuldige und manchmal bösartige Menschen zu verteidigen. Bisher war es mir immer gelungen, das zu akzeptieren und damit zu leben. Aber im Moment hatte ich kein gutes Gefühl, weder was mich anging noch das, was ich am nächsten Tag tun würde.
In solchen Momenten verspürte ich immer den Drang, in alte Verhaltensmuster zurückzufallen. Wieder diese Distanz herzustellen. Die Pille gegen den körperlichen Schmerz zu nehmen, die auch den seelischen Schmerz betäubte. Und genau in diesem Augenblick wurde mir auch bewusst, dass ich mich vor meinen eigenen inneren Geschworenen verantworten musste, deren Urteil »schuldig« lautete, und dass auf diesen Fall keine weiteren mehr folgen durften.
Ich trat auf die Terrasse und hoffte, die Stadt würde mich aus dem Abgrund ziehen, in den ich gestürzt war. Die Nacht war kühl, frisch und klar. Los Angeles breitete einen Teppich aus Lichtern vor mir aus, jedes Einzelne davon stand für einen Traum. Einige Menschen lebten ihren Traum, andere nicht. Einige Leute
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