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So wahr uns Gott helfe

So wahr uns Gott helfe

Titel: So wahr uns Gott helfe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Connelly
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Irgendein entscheidender Baustein fehlte mir, etwas, was ich in den Akten übersehen oder was Vincent im Kopf gehabt hatte und nicht in den Unterlagen. Aber was auch immer es war, Elliot schien noch nicht bereit, es mir anzuvertrauen.
    Vorerst war das in Ordnung. Manchmal will man gar nicht wissen, was der Mandant weiß, denn sobald der Rauch einmal aus der Flasche gedrungen ist, kriegt man ihn nicht mehr hinein.
    »Na schön, Walter«, gab ich nach. »Fortsetzung folgt. In der Zwischenzeit machen wir uns an die Arbeit.«
    Ohne auf eine Antwort zu warten, öffnete ich den Ordner mit den Verteidigungsunterlagen und überflog die Notizen, die ich mir auf der Innenseite des Aktendeckels gemacht hatte.
    »Was die Zeugen und die Strategie der Anklage bei der Darlegung des Falls angeht, sind wir, glaube ich, gut vorbereitet. Was ich in der Akte allerdings nicht gefunden habe, ist eine vernünftige Strategie, wie ich Ihre Verteidigung am besten aufbauen soll.«
    »Das verstehe ich nicht«, sagte Elliot. »Jerry meinte, wir wären bestens vorbereitet.«
    »Da bin ich mir nicht so sicher, Walter. Ich weiß, das ist ein Punkt, von dem Sie absolut nichts hören wollen, aber ich habe das hier in der Akte gefunden.«
    Ich schob ihm ein zweiseitiges Dokument über den Tisch zu. Er warf einen Blick darauf, ohne es wirklich zu lesen.
    »Was ist das?«
    »Das ist ein Antrag auf Aufschub des Prozessbeginns. Jerry hat ihn aufgesetzt, aber nicht eingereicht. Und aus diesem Schreiben geht eindeutig hervor, dass er den Prozess aufschieben wollte. Aus der Kennungszeile des Antrags ist ersichtlich, dass er den Antrag am Montag ausgedruckt hat. Nur wenige Stunden vor seiner Ermordung.«
    Elliot schüttelte den Kopf und schob das Dokument über den Tisch zurück.
    »Darüber habe ich mit ihm gesprochen, aber schließlich hat er sich doch bereiterklärt, fristgerecht weiterzumachen.«
    »Das war am Montag?«
    »Ja, Montag. Als ich das letzte Mal mit ihm gesprochen habe.«
    Ich nickte. Das beantwortete eine der Fragen, die ich hatte. Vincent hatte sich in jeder Akte die jeweils anfallenden Honorare notiert, und Elliot hatte er am Tag seiner Ermordung eine Stunde berechnet.
    »Fand diese Besprechung in seinem oder in Ihrem Büro statt?«
    »Wir haben telefoniert. Am Montagnachmittag. Er hat mir eine Nachricht hinterlassen, und ich habe ihn zurückgerufen. Wenn Sie wollen, kann Ihnen Nina den genauen Zeitpunkt sagen.«
    »Der Eintrag hier stammt von drei Uhr nachmittags. Hat er mit Ihnen über einen Aufschub gesprochen?«
    »Ja. Aber ich habe ihm klipp und klar gesagt, kein Aufschub.«
    Vincent hatte eine Stunde berechnet. Ich fragte mich, wie lange er und Elliot über den Aufschub diskutiert hatten.
    »Weshalb hat er einen Aufschub verlangt?«
    »Er wollte lediglich mehr Zeit, um sich besser vorbereiten zu können und vielleicht sein Honorar etwas aufzubessern. Aber ich habe ihm in aller Deutlichkeit klargemacht, so wie jetzt Ihnen, dass wir bereit sind. Wir sind bereit!«
    Ich lachte fast und schüttelte den Kopf.
    »Die Sache ist nur die, Walter, ich bin hier der Anwalt, und nicht Sie. Und das ist etwas, was ich Ihnen schon die ganze Zeit begreiflich zu machen versuche. Ich sehe hier keinen Ansatz für ein Vorgehen der Verteidigung während des Prozesses. Und das ist vermutlich auch der Grund, weshalb Jerry den Prozess aufschieben wollte. Er hatte keine tragfähige Strategie.«
    »Nein, die Anklage besitzt keine tragfähige Strategie.«
    Langsam hatte ich die Nase voll von Elliot und seiner beharrlichen Einmischung in unser juristisches Vorgehen.
    »Darf ich Ihnen vielleicht mal kurz erklären, wie die ganze Sache funktioniert«, schnaubte ich. »Und ich bitte jetzt schon um Entschuldigung, wenn Sie sowieso schon alles wissen, Walter. So ein Prozess besteht aus zwei Teilen, ja? Zuerst ist der Staatsanwalt an der Reihe, den Sachverhalt aus seiner Sicht darzulegen. Wir erhalten jedoch Gelegenheit, seine Darstellung des Tatbestands anzufechten, noch während er sie vorträgt. Wenn er damit fertig ist, kommen wir an die Reihe und erhalten Gelegenheit, unsere Gegenbeweise sowie konträre Theorien zum Tathergang vorzubringen.«
    »Okay.«
    »Und soweit ich aus dem Studium der Akten ersehen kann, hat sich Jerry Vincent ausschließlich auf die Falldarstellung der Anklage gestützt und nicht auf die der Verteidigung. Es gibt …«
    »Wieso das?«
    »Was die Anklage angeht, ist er bestens vorbereitet gewesen. Er hatte für alles, was der Staatsanwalt

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