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So wahr uns Gott helfe

So wahr uns Gott helfe

Titel: So wahr uns Gott helfe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Connelly
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schloss sich wieder hinter ihr, und er fixierte mich. Ich hob die Hand, um ihn am Sprechen zu hindern. Jetzt war ich an der Reihe.
    »Es gibt nur zwei Dinge, Walter, die für mich wirklich von Belang sind«, sagte ich ruhig. »Ob ich die Beweisführung der Anklage durchschaue, und ob ich sie auseinandernehmen kann.«
    Ich tippte mit dem Finger auf die Beweisoffenlegungsakte.
    »Im Moment durchschaue ich die Beweisführung der Anklage. Es ist simple Strategie nach Schema F. Die Anklage geht davon aus, dass Motiv und Gelegenheit im Überfluss vorhanden sind. Befassen wir uns also zunächst mit dem Motiv. Ihre Frau hatte eine Affäre, und das hat Sie in heftige Wut versetzt. Aber nicht nur das. Infolge des Ehevertrags, den Sie beide vor zwölf Jahren unterzeichnet haben, blieb Ihnen nichts anderes übrig, als Ihre Frau zu beseitigen, wenn Sie nicht alles mit ihr teilen wollten. Und jetzt zur Gelegenheit. Die Anklage kennt den genauen Zeitpunkt, an dem Ihr Wagen das Archway-Gelände am Morgen der Tat verlassen hat. Die Ermittler sind die Strecke zu Ihrem Haus in Malibu mehrmals abgefahren, haben die dafür benötigte Zeit gestoppt und behaupten aufgrund dessen, Sie hätten zum Zeitpunkt der Morde problemlos dort sein können. So viel zur Gelegenheit. Nun baut die Anklage also darauf, dass Motiv und Gelegenheit ausreichen werden, um die Geschworenen auf ihre Seite zu ziehen und sie von ihrer Sicht der Dinge zu überzeugen. Und das, obwohl die Beweislage gegen Sie in Wirklichkeit auf äußerst wackligen Beinen steht und sich ausschließlich auf Indizien stützt. Meine Aufgabe ist es daher, den Geschworenen klarzumachen, dass wir es hier mit einer Menge Rauch aber keinem wirklichen Feuer zu tun haben. Wenn mir das gelingt, kommen Sie frei.«
    »Trotzdem will ich wissen, ob Sie glauben, dass ich unschuldig bin.«
    Ich lächelte und schüttelte den Kopf.
    »Ich sage Ihnen doch, Walter, das spielt keine Rolle.«
    »Für mich spielt es sehr wohl eine. Ob so oder so – ich will es wissen.«
    Ich gab nach und hob kapitulierend die Hände.
    »Na schön, dann werde ich Ihnen eben sagen, was ich glaube, Walter. Ich habe die Akte von der ersten bis zur letzten Seite studiert. Ich habe alles mindestens zweimal gelesen und das meiste dreimal. Ich war inzwischen in Ihrem Strandhaus, in dem diese unglückselige Geschichte passiert ist, und habe den Tatort studiert. Nachdem ich das alles getan habe, halte ich es für durchaus möglich, dass Sie die Ihnen zur Last gelegten Dinge nicht getan haben. Heißt das, ich glaube an Ihre Unschuld? Nein, Walter, heißt es nicht. Tut mir leid, aber dafür mache ich den Job schon zu lange. Tatsache ist außerdem, dass ich noch nicht mit allzu vielen unschuldigen Mandanten zu tun hatte. Also kann ich Ihnen nichts Besseres sagen, als dass ich es nicht weiß. Wenn Ihnen das nicht genügt, dann wird es Ihnen, da bin ich sicher, keinerlei Mühe bereiten, einen Anwalt zu finden, der Ihnen genau das sagt, was Sie hören wollen, ob er es nun glaubt oder nicht.«
    Ich schaukelte mit meinem Stuhl, während ich auf seine Antwort wartete. Er verschränkte die Hände auf dem Tisch, während er sich meine Worte durch den Kopf gehen ließ, und nickte schließlich.
    »Dann ist das wohl das Beste, was ich verlangen kann.«
    Ich versuchte, langsam und unauffällig den Atem entweichen zu lassen. Ich hatte den Fall noch. Vorerst.
    »Aber wissen Sie, was ich glaube, Walter?«
    »Was glauben Sie?«
    »Dass Sie mir etwas verschweigen.«
    »Ich Ihnen etwas verschweigen? Wie kommen Sie denn darauf?«
    »Es gibt etwas, was ich über diesen Fall nicht weiß, und Sie verschweigen es mir.«
    »Ich habe keine Schimmer, was Sie meinen.«
    »Sie sind mir Ihrer Sache zu sicher, Walter. Es ist, als wüssten Sie, dass Sie freigesprochen werden.«
    »Ich werde freigesprochen. Ich bin unschuldig.«
    »Unschuldig zu sein genügt nicht. Manchmal werden Unschuldige verurteilt, obwohl jeder insgeheim weiß, dass sie freigesprochen werden müssten. Deshalb habe ich nie einen Unschuldigen kennengelernt, der keine Angst hatte. Angst, dass das System nicht richtig funktioniert. Angst, dass es vor allem darauf aus ist, Schuldige schuldig zu finden, und nicht Unschuldige unschuldig. Das fehlt mir bei Ihnen, Walter. Sie haben keine Angst.«
    »Ich weiß nicht, was Sie eigentlich wollen. Wovor sollte ich Angst haben?«
    Ich musterte ihn über den Tisch hinweg und versuchte zu ergründen, was in ihm vorging. Ich wusste, mein Instinkt trog mich nicht.

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