So wahr uns Gott helfe
hatte ich vor, Golantz auf die übliche Tour an der Nase herumzuführen. Ich würde eine Liste potenzieller Zeugen einreichen und jeden Polizisten und Kriminaltechniker aufführen, der in den Berichten des Sheriff’s Department erwähnt wurde. Das war allgemein so üblich. Dann konnte sich Golantz den Kopf darüber zerbrechen, wen ich wirklich in den Zeugenstand rufen würde, und wer für die Verteidigung tatsächlich wichtig war.
»Also schön, meine Herren, wahrscheinlich ist inzwischen schon der ganze Saal voller Anwälte, die auf mich warten«, erklärte Stanton abschließend. »Wäre dann so weit alles klar?«
Golantz und ich nickten. Ich konnte nicht umhin, mich zu fragen, ob vielleicht der Richter oder der Ankläger die Empfänger des Schmiergelds waren. Saß ich womöglich gerade mit dem Mann zusammen, der den Prozessverlauf zugunsten meines Mandanten manipulieren würde? Wenn ja, hatte er es sich durch nichts anmerken lassen. Und am Ende der Besprechung gelangte ich zu der Überzeugung, dass Bosch sich täuschte. Es war niemand bestochen worden. Irgendwo in einem Hafen in San Diego oder Cabo lag eine Hunderttausend-Dollar-Jacht, und auf der Besitzurkunde stand Jerry Vincents Name.
»Dann sehen wir uns also nächste Woche«, erklärte der Richter. »Über die Grundregeln des Verfahrens können wir am Donnerstagmorgen reden. Eines möchte ich allerdings jetzt schon klarstellen. Ich werde dafür Sorge tragen, dass dieser Prozess so reibungslos abläuft wie eine gut geölte Maschine. Also keine Überraschungen, keine faulen Tricks, keine Mauscheleien. Sind wir uns auch diesbezüglich einig?«
Golantz und ich nickten zum Zeichen unserer Zustimmung. Doch der Richter schwenkte auf seinem Sessel zu mir herum und starrte mich direkt an. Er kniff argwöhnisch die Augen zusammen.
»Ich werde Sie beim Wort nehmen«, sagte er.
Diese Botschaft schien nur für mich bestimmt, und sie würde sicher nicht im Protokoll der Stenografin auftauchen.
Wie kommt es bloß, fragte ich mich, dass es immer die Verteidiger sind, bei denen der Richter diesen strengen Blick aufsetzt?
FÜNFUNDZWANZIG
I ch traf gerade noch kurz vor der Mittagspause in Joanne Giorgettis Büro ein. Wäre ich nur eine Minute nach zwölf erschienen, wäre ich bereits zu spät gewesen. Um die Mittagszeit waren die Büros der Staatsanwaltschaft buchstäblich leergefegt, denn ihre Nutzer suchten außerhalb des CCB Sonnenschein, frische Luft und Nahrung. Ich erklärte der Empfangsdame, ich hätte einen Termin mit Giorgetti, worauf sie in ihrem Büro anrief. Dann bediente sie den Türöffner und forderte mich auf, nach hinten zu gehen.
Giorgetti arbeitete in einem kleinen, fensterlosen Büro, dessen Boden fast vollständig mit Aktenkartons zugestellt war. Das gleiche Bild wie in allen anderen Staatsanwaltsbüros, in denen ich bisher gewesen war, egal, ob groß oder klein. Joanne Giorgetti saß an ihrem Schreibtisch, war aber hinter einer Mauer aus Anträgen und Aktenstapeln verborgen. Ich langte vorsichtig über die Mauer, um ihr die Hand zu schütteln.
»Tag, Joanne, wie geht’s?«
»Ganz okay, Mickey. Und dir?«
»Kann nicht klagen.«
»Du hast gerade eine Menge Fälle übernommen, habe ich gehört.«
»Ja, das waren einige.«
Die Unterhaltung verlief etwas stockend. Ich wusste, dass sie und Maggie befreundet waren, und mir war nicht klar, ob ihr meine Exfrau von meinen Problemen im vergangenen Jahr erzählt hatte.
»Du bist also wegen Wyms hier?«
»So ist es. Bis heute Morgen hab ich nicht einmal gewusst, dass ich den Fall überhaupt habe.«
Sie reichte mir einen Ordner mit einem zwei Zentimeter dicken Packen Unterlagen darin.
»Was ist deiner Meinung nach aus Jerrys Akte geworden?«, fragte sie.
»Ich schätze, der Mörder hat sie mitgenommen.«
Sie verzog das Gesicht.
»Ich weiß nicht. Wieso sollte der Mörder so was tun?«
»Wahrscheinlich unabsichtlich. Die Akte befand sich vermutlich zusammen mit Jerrys Laptop in seinem Aktenkoffer, und der Mörder hat sich einfach alles unter den Nagel gerissen.«
»Hm.«
»Gibt es irgendetwas Ungewöhnliches bei diesem Fall? Etwas, was Jerry zu einem potenziellen Ziel gemacht haben könnte?«
»An sich nicht. Wahrscheinlich wieder nur so ein Fall von zunehmend eskalierender Gewalt.«
Ich nickte.
»Hast du irgendetwas läuten hören, dass ein Bundesgericht den Staatsgerichten auf die Finger sehen will?«
Sie runzelte die Augenbrauen.
»Weshalb sollten sie sich dann ausgerechnet für diesen
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