So weit der Wind uns trägt
schmachten dich bestimmt nicht mehr sehr viele Frauen an.«
»Natürlich nicht«, sagte Mariana in ungewohnt giftigem Ton, »keine normale und halbwegs intelligente Frau lässt sich von deinem Äußeren blenden. Man sieht doch gleich, was für ein erbärmlicher Charakter sich hinter der hübschen Fassade verbirgt.«
Hübsch? Was war an dem alten Sack hübsch, fragte Laura sich. Sie betrachtete den Mann, den sie doch ihr Leben lang kannte und in dem sie nie etwas anderes gesehen hatte als einfach Onkel Edmundo, nun erstmals etwas genauer. Er war vielleicht vierzig, hatte schütteres dunkelblondes Haar, das er – sehr unvorteilhaft – zu lang trug, und leicht herabhängende Wangen. Ihm wuchsen Haare aus der Nase und aus den Ohren. Es bedurfte schon einer großen Portion an Phantasie, um die einstige Attraktivität ausmachen zu können. Aber ja, vielleicht war er einmal hübsch gewesen. Mit dem Blick einer Malerin sezierte sie jedes Detail seines Aussehens, und tatsächlich meinte sie sich an geschwungene Lippen zu erinnern, die ihr früher Küsschen auf die Wangen gedrückt hatten, und ein Paar melancholischer Augen, das einst ihrer Mutter nachgeschaut hatte.
Edmundo entging diese Musterung durchaus nicht. Er fühlte sich geschmeichelt. Um den unseligen Manschettenknopf-Streit, den er und Mariana schon tausendmal gehabt hatten, zu beenden, wandte er sich an Laura und hob sein Glas: »Auf dich, junge Dame, das hübscheste Mädchen auf Belo Horizonte! Noch einmal alles Gute zum Geburtstag!«
Laura stieß mit ihm an und erwiderte sein neckisches Augenzwinkern. Flirtete er mit ihr? Ha, das konnte er haben.
Dass niemand sonst das Glas erhoben hatte, fiel ihr nicht auf. Octávia war tödlich beleidigt, dass ihre Schönheit so verkannt wurde, und ihre Eltern empfanden es als Affront, dass ausgerechnet Laura, ihrem Gast, die Ehre eines solchen Komplimentes zuteilwurde und keiner ihrer eigenen Töchter. Es bestätigte Mariana einmal mehr in der Einschätzung ihres Schwagers.
Nur zwei Personen analysierten und begriffen diese absurde Situation, jede auf ihre Weise.
Beatriz, deren klinischem Blick kein Detail entgangen war, amüsierte sich voller Schadenfreude über die pikierten Gesichter ihrer Schwester und deren Familie sowie über das flittchenhafte Benehmen Lauras. Das Mädchen war genau wie seine Mutter, Jujú. In seiner Gefallsucht begriff es nicht, dass es nur als Projektionsfläche für die Eitelkeiten eines gescheiterten Casanovas herhalten musste. Und Mariana, die doch gerade noch selber festgestellt hatte, dass Edmundo ein Lügner und Schuft war, nahm sich plötzlich die Worte dieses Lügners zu Herzen, als stünde ihre Wahrheit unverrückbar fest. Allerdings, das musste sogar Beatriz zugeben, war Laura tatsächlich ein viel hübscheres Ding als Octávia mit ihrem Pferdegebiss.
Maria da Conceição hatte den Wortwechsel vom Flur aus mitverfolgt. Sie hatte an der Tür gelauscht und ihre gerechte Strafe dafür bekommen. Mit schmerzhafter Gewissheit erkannte sie, dass ihre einstige Lüge von vornherein nicht den Hauch der Chance besessen hatte, sie Edmundo näher zu bringen. Natürlich nicht. Es war eine Sünde gewesen, solche Lügengeschichten zu verbreiten. Und ja: Wahrscheinlich traf die Beschreibung der »verlogenen alten Jungfer« auf sie zu. Sie hatte sich nie als solche empfunden, aber jetzt, im direkten Vergleich mit diesem blutjungen Mädchen, das seiner Mutter so sehr ähnelte, merkte Maria da Conceição, wie ihr die Jahre einfach so, unbewusst und leise, durch die Finger geronnen waren.
Sie wischte die Tränen weg, die ihr in die Augen getreten waren, und marschierte tapfer in das Esszimmer, um die Suppenteller abzutragen.
24
H ätte Fernando geahnt, welche immense Bedeutung seine Frau den verschiedenen Orakeln, Symbolen oder mystischen Zahlenkombinationen wirklich beimaß, es hätte ihn gegraust. Manchmal sagte sie Dinge wie: »Unser Sohn darf unter keinen Umständen am 8 . Februar 1933 zur Welt kommen, denn dann wäre seine Schicksalszahl die Acht, die noch nie jemandem Glück gebracht hat, also ärgere mich bloß nicht an diesem Datum.« Sie sagte solche Sachen beiläufig und in halb scherzhaftem Ton, so dass Fernando nichts anderes übrig blieb, als auf der gleichen Ebene zu frotzeln: »Wann würde es Madame denn passen, dass ich sie ärgere? Würde es dir zum Beispiel am vierten Februar besser gefallen, dass ich dich nicht in den Wahnsinn, sondern zur Niederkunft treibe?« Elisabete hatte
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