So weit der Wind uns trägt
die Akte, die vor ihm lag und die er bis morgen durchgearbeitet haben musste. Salazar erwartete ein Resümee sowie eine Beurteilung von ihm. Er hatte für ein Treffen mit Jujú gar keine Zeit. Aber er hatte sich einmal mehr breitschlagen lassen, sie wenigstens auf eine
bica
in einem Kaffeehaus zu treffen. Er war ein Dummkopf! Er hatte schon vorher gewusst, dass es zeitlich sehr knapp werden konnte, doch jetzt sah es so aus, als käme er heute nicht vor Mitternacht aus dem Büro. Nach Kaffeepäuschen stand ihm da einfach nicht der Sinn. Dennoch schwante Fernando, dass er zu der heutigen Verabredung besser erscheinen sollte. Und auch besser pünktlich sein sollte. Er sah auf die Uhr. Zwei Stunden hatte er noch. Na gut.
Jujú saß vor ihrer Frisierkommode und studierte gründlich jede Falte ihres Gesichts. Es war verheerend, was das Alter mit einem anstellte. Von der Nase bis zu den Mundwinkeln zogen sich auf jeder Seite zwei Falten herab, die ihr, wie sie fand, ein mürrisches Aussehen verliehen, selbst wenn sie außerordentlich gut aufgelegt war. Außer ihr hatte diese Falten offenbar noch nie jemand als störend wahrgenommen, ihre Schwester Isabel verstieg sich sogar zu der unmaßgeblichen Meinung, Jujú sei geradezu ein Wunder an Jugendlichkeit. So ein Unsinn. Ihre Schwester war auch noch nie mit Laura einkaufen gegangen. Es war grausam gewesen zu merken, dass die Männer nicht ihr, sondern ihrer Tochter hinterhersahen.
Jujú fletschte die Zähne zu einem falschen Lächeln. Beim Lachen verschwand dieser schreckliche, verbitterte Ausdruck von ihrem Gesicht – aber dann wiederum kräuselten sich die feinen Fältchen um ihre Augen zu einem netzartigen Gebilde, das sie wie eine Greisin wirken ließ. Es war furchtbar, und es würde noch viel schlimmer kommen. Sie war erst neununddreißig Jahre alt. Wie würde sie erst in zehn Jahren aussehen? Oder mit achtzig? Oh Gott! Schnell verdrängte sie die unschönen Gedanken und widmete sich weiter der Kunst, ihrem Gesicht mit Puder, Kajal und Lippenstift ein wenig von dem jugendlichen Strahlen zurückzugeben, das es einst besessen hatte.
Die drei weißen Haare, die sie am Morgen nach eingehender Untersuchung auf ihrem Scheitel entdeckt hatte und die störrisch und drahtig abstanden, als gehörten sie eigentlich zu einer anderen Region ihres Körpers, hatte sie ausgerissen. Ewig würde auch das nicht so weitergehen – nachher hätte sie gar keine Haare mehr auf dem Kopf und sähe aus wie die arme Dona Florinda aus der Buchhandlung in der Rua Garrett. Aber gut, Haare konnte man ja färben. Und das würde sie selbstverständlich tun. Beim zehnten weißen Haar, das sie entdeckte, wäre endgültig Schluss mit der Auszupferei.
Als Jujú fertig war mit den kosmetischen Maßnahmen, widmete sie sich ihrer Garderobe. Die hellblaue Bluse stand ihr gut, wie überhaupt alle hellen Farben sie jünger und liebenswürdiger erscheinen ließen. Aber was sollte sie dazu tragen? Das dunkelgraue Kostüm? Es war ein bisschen zu korrekt für den Anlass. Sie würde ja nur mit ihrem »alten Freund« einen Kaffee trinken. Nein, dann lieber das beigefarbene Kleid.
Doch nachdem Jujú dieses Kleid angezogen hatte, gefiel sie sich darin nicht. Der Ausschnitt war zu tief, was, wie sie sich jetzt erinnerte, der Grund gewesen war, warum sie es gekauft hatte – anscheinend in einem Anfall lächerlicher Selbstüberschätzung. Wie sah denn das aus, wenn sie ihr leberfleckiges und nicht mehr hundertprozentig straffes Dekolleté so zur Schau stellte? An Laura sähe das Kleid sicher hinreißend aus, aber die würde es garantiert nicht haben wollen. Deren Kleidungsstil unterschied sich so kolossal von ihrem eigenen, dass es schon fast beleidigend war.
Schließlich entschied Jujú sich für einen schwarzen Rock und die hellblaue Bluse. Dazu legte sie ihre Perlen um. Ihr Haar steckte sie zu einem damenhaften Knoten auf, aus dem sie, als sie befand, dass sie damit aussah wie eine alte Krähe, einige Strähnen herauszupfte. Die Locken, die sich um ihr Gesicht kringelten, gaben ihr einen mädchenhaften Charme. Oder nicht? Sah es vielleicht albern aus, so als ob eine alte Krähe beschlossen hätte, auszusehen wie ein junges Täubchen? Jujú nahm zwei Haarklammern und steckte die losen Strähnen wieder an ihrem Kopf fest.
Was veranstaltete sie eigentlich für einen Wirbel? Sie würde Fernando treffen, so wie sie sich schon unzählige Male getroffen hatten. Er kannte sie von Kindesbeinen an. Er kannte sie
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