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So weit der Wind uns trägt

So weit der Wind uns trägt

Titel: So weit der Wind uns trägt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ana Veloso
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schöne Mensch vor ihm sah ihn aufmüpfig an. »Er war doch Ihr Bruder, nicht wahr?«
    Fernando nickte. »Wenn wir von demselben Sebastião Abrantes reden. Es gibt sicher ein paar mehr Männer dieses Namens. Ich habe seit mehr als zwanzig Jahren nichts mehr von meinem Bruder gehört.«
    Ronaldo lupfte seine Jacke und griff in die Innentasche. »Hier, das habe ich von ihm bekommen.« Damit reichte er Fernando eine verbeulte Blechmedaille.
    Ja, Fernando erinnerte sich deutlich. Sebastião hatte als etwa Fünfzehnjähriger einen Dorfwettbewerb im Armdrücken gewonnen und dafür diese »Trophäe« erhalten. Schlimm war das, wenn ein Mann von Mitte fünfzig auf keine größere Leistung zurückblicken konnte als so ein albernes Wettkämpfchen, in dem er vierzig Jahre zuvor gesiegt hatte.
    »Ist das alles, was er Ihnen vermacht hat?« Fernando hoffte für den Burschen, dass dem nicht so war. Wer weiß, vielleicht hatte Sebastião es ja wider Erwarten zu etwas mehr gebracht.
    »Nein. Er hat mir außerdem noch ein winziges Stück Land in Bahia hinterlassen. Mit einer primitiven Hütte darauf.«
    »In der Sie nicht mal Ihren Hund wohnen lassen wollen?«
    »Nur meine Mutter.«
    Fernando schämte sich für seine Arroganz sowie dafür, dass er den jungen Mann für »etwas Besseres« gehalten hatte, was ohne Frage an seiner Schönheit lag.
    »Tut mir leid. Sie sahen mir nicht danach aus, als wohnten Sie in so bescheidenen Verhältnissen.«
    »Tue ich auch nicht. Nicht mehr. Ich bin weggegangen, als ich vierzehn war. Habe Zuckerrohr geschnitten, Kakao geerntet, in einem Sägewerk gearbeitet. Mit sechzehn hatte ich genug zusammen, um nach Rio zu gehen, mit zwanzig konnte ich mir die Schiffspassage nach Europa leisten.«
    »Und was versprechen Sie sich von Europa? Sie scheinen doch in Brasilien Ihren Weg zu machen.«
    »Ich war – bin – neugierig auf meine Verwandten. Mein Vater hat nur wenig erzählt, und das auch nur, als ich noch ein Kind war. Danach haben wir den Kontakt verloren. Tja, jedenfalls hat er oft von seinen Brüdern gesprochen und auch von seiner Schwester, Maria da Conceição. Er hatte großes Heimweh, wissen Sie.«
    »Sie hätten Ihre Neugier doch auch schriftlich befriedigen können, uns einen Brief schicken, was weiß ich.«
    »Ja. Aber dazu kommt, dass ich mir hier bessere berufliche Chancen ausrechne.«
    »Was sind Sie denn von Beruf?«
    »Schauspieler«, sagte Ronaldo ohne jede Spur von Verlegenheit in der Stimme, obwohl er sich vorkam wie ein Hochstapler. Ein richtiger Schauspieler war er ja noch nicht. Aber er sah immerhin schon aus wie ein Filmstar. Hier in Europa würde man seine Art der Schönheit besser zu würdigen wissen als daheim, wo es viele gab wie ihn.
    Fernando verdrehte im Geiste die Augen. Aber es blieb ihm wohl kaum etwas anderes übrig, als sich an die Mindestregeln der Höflichkeit zu halten. »Zufällig ist meine Schwester zur Zeit in Lissabon, die ja, wenn Sie die Wahrheit sagen, Ihre Tante Maria da Conceição wäre. Kommen Sie doch heute Abend zum Essen zu uns.«
    Ronaldo fand alles, was er über Fernando Abrantes gehört hatte, bestätigt. Diese »Einladung« hatte wie ein Befehl geklungen, und er fühlte sich hier weniger willkommen als bei den ärmsten Landarbeitern in der hinterletzten Hütte in Brasilien.
    »Ja, danke, ich komme gern.«
     
    »Der Bastard meines Bruders wird uns zum Abendessen heimsuchen«, setzte Fernando seine Frau von dem Gast in Kenntnis. »Ein windiger Typ, gut aussehend, aber irgendwie halbseiden.« Bei seiner Schwester fand er schonendere Worte: »Wie es aussieht, ist Sebastião damals nach Brasilien abgehauen. Jedenfalls hat sich jetzt einer bei mir gemeldet, der sich als sein Sohn ausgibt. Er kommt heute Abend zu uns.«
    Sowohl Elisabete als auch Maria da Conceição waren nach dieser ersten Vorstellung äußerst kritisch, was den jungen Ronaldo anging. Keine von beiden rechnete mit einem unterhaltsamen Gast oder einem anregenden Abend. Beide machten sich auf unangenehme Fragen gefasst, auf bittere Wahrheiten oder böse Vorwürfe.
    Elisabete unterstellte dem angeblichen Neffen ihres Mannes sofort eine Art von Erbschleicherei, ganz so, wie sie sich auch den verlängerten »Besuch« von Maria da Conceição mehr mit finanziellen Interessen denn mit geschwisterlicher Verbundenheit erklärte. Die verhärmte Frau, etwa in Elisabetes Alter, war ihr ein einziger Anlass zur Scham. Maria da Conceição sprach mit der schweren Zunge der Alentejanos, trug Kleidung

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