So weit der Wind uns trägt
wollte Ronaldo machen, so schnell und so viel wie möglich.
Fernando saß an seinem überdimensionalen Schreibtisch im Verteidigungsministerium und sann darüber nach, wie er sowohl beruflich als auch privat so grandios hatte scheitern können. Seine Arbeit unter dem Diktator entwickelte sich zum permanenten Alptraum, dem er nur durch einen Putsch oder seinen vorzeitigen Abschied aus dem Berufsleben entkommen konnte. Beides hielt er für ausgeschlossen. Er war jetzt siebenundfünzig – zu alt für einen Aufstand, zu jung, und vor allem nicht wohlhabend genug, für den Ruhestand. Wenn wenigstens sein Privatleben erfüllend gewesen wäre. Aber seine Familie bedeutete ihm weniger, als sie es hätte tun sollen – allein die Gewissensbisse über seinen Mangel an Väterlichkeit nagten an ihm –, und Jujú entzog sich ihm zunehmend. Was hatte er falsch gemacht? Warum mied sie ihn? Sie hatte alle möglichen Ausreden vorgebracht, um ihn nicht mehr so oft wie früher sehen zu müssen, und wenn sie sich dann trafen, einmal im Monat, höchstens, hatte ihr flackernder Blick ihm verraten, dass sie irgendetwas vor ihm verbarg.
Seine Mutter hätte es ihm bestimmt sagen können, dachte er mit trauriger Belustigung. Sie hätte zur Erklärung seines familiären Misserfolgs herangezogen, dass er einst Elisabetes Elternhaus mit dem linken Fuß zuerst betreten hatte, und sein Hadern mit seiner Karriere hätte sie wahrscheinlich damit begründet, dass er einen Regenschirm in einem geschlossenen Raum geöffnet hatte. Vielleicht wäre sie auch Jujús Geheimnis auf die Spur gekommen, indem sie den Kaffeesatz hätte sprechen lassen. Seinem rationalen Denken würde sich dieser Hokuspokus nie erschließen – mit dem Verstand des Herzens jedoch fand Fernando den Aberglauben seiner Mutter, Gott hab sie selig, auch nicht viel unsinniger als alles, was er sich so an Theorien zusammenreimte.
»General, draußen wartet ein junger Mann, der Sie sprechen möchte.« Fernando schrak von seinem Tisch hoch, als sein Sekretär den unerwarteten Besucher ankündigte. Befremdet nahm er zur Kenntnis, dass er während seines Grübelns lauter kleine Bäume auf einen Schreibblock gekritzelt hatte. Was seine Mutter wohl daraus abgeleitet hätte?
»Schicken Sie ihn weg.«
Der Sekretär nickte und verließ das Büro, nur um kaum eine Minute später von neuem in der Tür zu stehen.
»Ähm, General – der junge Mann sagt, er sei Ihr Neffe.«
Oho, das wurde ja immer besser! Als wessen Sohn wollte er sich denn ausgeben, als der von Maria da Conceição? Doch Fernandos Neugier war geweckt.
»Na schön, er kann reinkommen.«
Kurz darauf trat der schönste Mensch durch die Tür, den Fernando je gesehen hatte. Fernando war körperlicher Schönheit gegenüber durchaus aufgeschlossen – wenn er sie bei Frauen sah. Ob Männer attraktiv waren, vermochte er nie zu erkennen, es sei denn, sie hätten sich durch eine extreme Missbildung von vornherein disqualifiziert. Aber hier stand nun ein Geschöpf vor ihm, das aussah wie ein griechischer Gott. Er hätte sogar Grieche sein können, mit seiner hellbraunen Hautfarbe, dem schwarz gelockten Haar, der geraden Nase und den vollen, festen Lippen. Fernando sah den Adonis schweigend an und bedeutete ihm durch ein Nicken, dass er sein Begehr vortragen solle.
»Guten Tag, General. Mein Name ist Ronaldo Silva, ich bin der Sohn von Sebastião Abrantes.«
Er sprach mit brasilianischem Akzent, den Fernando immer wieder lustig fand. Die Grammatik war vereinfacht worden, die Aussprache war offener – mit anständigem Portugiesisch hatte das wenig zu tun. Fernando war so fasziniert von dem fremdartigen Klang der gleichen Sprache, dass er einen Augenblick brauchte, bis er den Inhalt des Gesagten aufnahm.
»Sieh an. Ist Ihr Vater noch immer so ein Trunkenbold?«
»Er ist tot, General.«
Oh. Das hatte er nun nicht erwartet. Wenn denn die ganze Geschichte überhaupt stimmte. Bevor er sich den Luxus einer Trauerminute um Sebastião gönnte, würde er dem jungen Mann auf den Zahn fühlen müssen.
»Wann ist er gestorben? Und wie?«
»Die genauen Umstände kenne ich auch nicht. Er war … er lebte nicht mit meiner Mutter zusammen. Wir haben es über tausend Umwege erfahren. Es soll vor rund sechs Monaten einen hässlichen Unfall mit einem Lastkran gegeben haben. Er war Hafenarbeiter.«
Bestimmt ist ihm das im Suff passiert, dachte Fernando sofort, hütete sich aber, es laut auszusprechen.
»Aha«, sagte er nur.
Der
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