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So weit der Wind uns trägt

So weit der Wind uns trägt

Titel: So weit der Wind uns trägt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ana Veloso
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wie die Bauern zu Beginn des Jahrhunderts und hatte ähnlich miserable Tischmanieren, wie Fernando sie vor und auch noch zu Beginn ihrer Ehe gehabt hatte. Es war unübersehbar, welcher Herkunft sie war. Dass sie noch dazu bei fremden Leuten in Stellung gegangen war, betrachtete Elisabete als Gipfel der Peinlichkeit. Andererseits konnte man ja nur froh darüber sein – gar nicht auszudenken, dass diese schlichte Person ja die letzten zwanzig Jahre bei ihnen im Haus hätte gelebt haben und die Kinder schlecht hätte beeinflussen können.
    Maria da Conceição fühlte sich nicht minder unwohl. Sie hatte immerzu das Bedürfnis, ihre Schwägerin zu siezen und ihr mit derselben Unterwürfigkeit zu begegnen, wie sie Personal im Kontakt mit der Herrschaft auszeichnete. Elisabete hatte ihr ein wunderschönes Gästezimmer zugewiesen, in dem Maria da Conceição erstmals das Gefühl überkam, sie hätte einst vielleicht einen anderen Lebensweg einschlagen sollen. Ihre Liebe zu Edmundo, ja, ihre Besessenheit von ihm, hatte sie blind werden lassen für alles andere. Nun, da es zu spät war, musste sie feststellen, dass sie für einen Taugenichts alles weggeworfen hatte, ihre Jugend, ihre Schönheit, ihren Selbstrespekt. Sie hätte eine eigene Familie haben und vielleicht einen gewissen Wohlstand erreichen können. Stattdessen war alles an Familie, was sie noch besaß, ein ihr fremd gewordener Bruder, eine
Madame
von Schwägerin sowie Nichten und Neffen mit geziertem großstädtischem Gehabe, die sich hinter ihrem Rücken lustig über sie machten. Obwohl auch Maria da Conceição mit ihrer bäuerlichen Denkweise diesem vermeintlichen Sohn von Sebastião nicht über den Weg traute, war sie doch gleichzeitig angenehm erregt über die Perspektive, die er ihr bot. Vielleicht fand sie in diesem Ronaldo ja jemanden, den sie bemuttern konnte.
     
    Gegen acht Uhr am Abend, als sich die Familie Abrantes im Esszimmer einfand und unangenehm berührt darüber hinwegsah, dass Maria da Conceição sich mit der Dienerschaft gemein machte – sie half doch tatsächlich dabei, den Tisch zu decken! –, brach draußen ein heftiges Gewitter los. Kurz darauf läutete es an der Tür. Der
butler
José, der seine eigene hochtrabende Berufsbezeichnung nicht richtig aussprechen konnte, öffnete, und der Hausherr persönlich stand zum Empfang des Gastes in der Halle bereit.
    »Guten Abend, Ronaldo.«
    »Guten Abend, General.« Ronaldo brachte es nicht über sich, den streng aussehenden Mann mit »Onkel Fernando« anzusprechen.
    »Vielleicht suchen Sie zuerst einmal das Bad auf, um sich abzutrocknen«, sagte Fernando, nachdem José dem Jungen den triefnassen Mantel abgenommen hatte. An einen Schirm hatte der Knabe offenbar nicht gedacht.
    »Ich warte hier so lange auf Sie«, fuhr Fernando fort, »damit Sie nicht allein in die Höhle des Löwen gehen müssen.«
    Wenig später erschien Ronaldo, mit nass glänzendem, straff aus dem Gesicht gekämmten Haar. Er sah umwerfend aus, was Fernando natürlich nicht registrierte.
    Aber die anderen taten es. Im Esszimmer verstummten alle Gespräche, als Ronaldo eintrat. Elisabete starrte den schönen Jüngling an, als wäre er nicht von dieser Welt, und es war das erste Mal in ihrem Leben, dass sie die dunklere Hautfarbe eines Menschen gar nicht zu interessieren schien. Maria da Conceição fasste sich an die Brust, so sehr hatte sich ihr Herzschlag angesichts dieser Skulptur aus Fleisch und Blut beschleunigt. Fernandos Töchter, die zweiundzwanzigjährige Sofia und die zwanzigjährige Ana, waren einer Ohnmacht nahe. Sogar seine beiden Jungen, Marcos und Alberto, saßen mit offenen Mündern am Tisch und staunten über diesen angeblichen Cousin aus Brasilien. Sie waren achtzehn beziehungsweise vierzehn Jahre alt, doch von männlichem Revierbewusstsein konnte nicht die Rede sein – sie wirkten vielmehr ehrlich fasziniert von dem jungen Mann, der gar nicht aussah, als wäre er ein Verwandter von ihnen.
    »Du bist ja ein Farbiger«, platzte Alberto heraus. »Wie kannst du dann unser Cousin sein?«
    »Herrje, Betinho«, fuhr seine große Schwester ihn an, »du stellst blödere Fragen als ein Kleinkind!« Sofia wandte sich dem Besucher zu. »Entschuldige,
Cousin
. Setz dich doch erst einmal. Möchtest du einen Portwein – wir haben einen exzellenten weißen Vintage, sehr als Aperitif zu empfehlen.«
    Elisabete war ausgesprochen angetan von dem Verhalten ihrer zweitältesten Tochter. Sofia hatte instinktiv erfasst,

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