So weit der Wind uns trägt
verraten hat – und dass man mir die Gelegenheit einräumt, diese alten Schulden zu begleichen.« Seine Ansprache wäre noch besser gewesen, wenn er eine direkte Anrede hätte gebrauchen können, dachte Ronaldo. Doch ein Blick in die Augen der
lieben Tante
Maria da Conceição zeigte ihm, dass er die erwünschte Wirkung erzielt hatte.
Ein einsamer Applaus riss alle aus ihrer Erstarrung. Marcos klatschte langsam und bedächtig in die Hände, in einem monotonen Rhythmus. Der Hall dieses unmissverständlich ironischen Beifalls erfüllte das Esszimmer, und er dröhnte in ihrer aller Ohren lauter als der des Glockenspiels der gegenüberliegenden Kirche.
»Was und wer auch immer Sie sein mögen«, sagte Marcos, »als Schauspieler sind Sie einsame Spitze. Ich verstehe nur nicht, warum Sie Ihr Glück in Portugal versuchen und nicht gleich in Hollywood.«
Das, ging es Ronaldo durch den Kopf, würde sich dem Begriffsvermögen des Jungen garantiert entziehen. Reiche Kinder verstanden nie, warum armen Kindern hartes Brot lieber war als das Versprechen auf ein frisches.
32
L
aura, wie konntest Du uns das antun? Und vor allem: Wie konntest Du unserem Sohn das antun?
Was gab es denn da nicht zu verstehen?, fragte Laura sich zum hundertsten Mal. Wie immer, wenn sie den alten Brief las, regte sie sich darüber auf, auch jetzt noch, drei Jahre später. Sie hatte es Jakob erklärt, in unzähligen Telefonaten und Briefen: Sie hatte das Kriegsende abwarten wollen, um ihn keiner Gefahr auszusetzen, und dann war es zu spät gewesen.
Er
hatte schließlich geheiratet, nicht sie.
Er
hatte in Amerika seine portugiesische Freundin vergessen,
er
war derjenige gewesen, der die lange Trennung von Laura nicht ausgehalten hatte. Aber gut, jetzt würde sie ihm das gewiss nicht mehr zum Vorwurf machen, zumal sie inzwischen selber einen Mann kennengelernt hatte, der sie Jakob vergessen ließ. Es lag lange zurück, dass Jakob Lissabon verlassen hatte, und so groß ihre Liebe auch gewesen war, nach acht Jahren hatte sogar Laura den Verlust verschmerzt.
Mittlerweile hatte sie auch ihre Familie über die Identität von Ricardos Vater aufgeklärt. Es war unumgänglich gewesen, nachdem ihr kleiner Sohn immer öfter nach seinem Papá gefragt hatte. »Dein Papá ist Amerikaner. Er ist ein großer Musiker, er arbeitet als Filmkomponist in Hollywood. Er ist sehr klug und schön und reich«, hatte sie Ricardo erklärt. Doch der hatte sich nicht so einfach abspeisen lassen. Bis heute konfrontierte sie der Junge, der demnächst sieben Jahre alt wurde, mit Fragen, die eines Großinquisitors würdig gewesen wären: »Warum ist er nicht bei uns? Warum bist du nicht mit ihm verheiratet? Mag er mich nicht? Stimmt es, dass er ein stinkender Jude ist, wie Onkel Paulo gesagt hat?«
Bei der letzten Frage war Laura die Hand ausgerutscht, obwohl eigentlich Paulo die Ohrfeige gebührt hätte.
»Juden stinken nicht. Aber dein Onkel Paulo tut es – er wühlt so gern im Dreck anderer Leute. Und ja: Dein Papá ist Jude. Das bedeutet, dass er nicht wie wir an den Herrn Jesu glaubt. Aber er glaubt an den lieben Gott, und er glaubt auch an die Zehn Gebote und an ganz viele von den Geschichten, die du in der Schule lernst, an die von Adam und Eva, an die von der Arche Noah oder auch an die von David und Goliath. Er ist ein guter Mann, hast du das verstanden?«
Ricardo hatte genickt, den Blick zu Boden gerichtet, damit seine Mamã die Tränen in seinen Augen nicht sah. Es war das erste Mal gewesen, dass sie ihn geschlagen hatte.
Laura nahm einen anderen von Jakobs Briefen, um sich erneut an einer Passage zu erbauen, die sie bis heute mit einer diebischen Freude erfüllte.
Unsere Ehe ist noch nicht mit Kindern gesegnet. Bisher sahen wir keine Veranlassung, einen Arzt zu konsultieren – das heißt, wir haben den Gedanken daran, dass einer von uns beiden unfruchtbar sein könnte, schlichtweg verdrängt, was angesichts unserer beruflichen Herausforderungen nicht schwer war. Elsa ist sehr gefragt als Zeichnerin in einem Trickfilmstudio, ich selber arbeite sechzehn Stunden am Tag, um mit all den Aufträgen hinterherzukommen. Seit wir wissen, dass ich zeugungsfähig bin, hat sich Elsa allerdings einer Reihe von Tests unterzogen, und tatsächlich scheint man da auf ein paar Irregularitäten gestoßen zu sein. Aber ganz gleich, was letztendlich dabei herauskommen mag: Elsa sagt, sie will meinen Sohn akzeptieren, als sei es ihr eigener.
Das, dachte Laura, würde sie nicht
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