So weit der Wind uns trägt
zulassen. Diese Elsa hatte ihr schon den Mann gestohlen, ihr Kind würde Laura sich ganz sicher nicht auch noch wegnehmen lassen. Die Einladung, zusammen mit Ricardo zu Besuch nach Los Angeles zu kommen, die Jakob im weiteren Verlauf des Briefes ausgesprochen hatte, würde sie niemals annehmen. Er musste sich schon selber nach Portugal bequemen, möglichst ohne seine Frau. Laura jedenfalls hatte nicht vor, diese Person einzuladen oder sie auch nur in die Nähe von Ricardo zu lassen.
Dem Brief beigefügt waren zwei Fotos. Eines war eine Studioaufnahme der Eheleute Waizman, die zwar vollkommen gekünstelt wirkte, dafür aber das genauere Studium der beiden Gesichter erlaubte. Bei dem anderen Bild handelte es sich um einen Schnappschuss von Jakob, wie er mit zerzaustem Haar auf einer Strandpromenade Fahrrad fuhr. Laura schnitt die Frau aus der Studioaufnahme aus – aus völlig uneigennützigen Motiven, wie sie sich einredete, denn eine andere Frau an der Seite seines Vaters würde Ricardo nur zusätzlich verwirren. Den Brief riss sie in der Mitte entzwei. Ebenso verfuhr sie mit allen anderen Briefen, die sie jemals von Jakob bekommen hatte. Was hatte es schon für einen Zweck, Erinnerungsstücke an etwas aufzubewahren, woran sie sich nicht gern erinnerte? Nur die Fotos wollte sie aufbewahren – für Ricardo.
»Sieh mal, das ist Jack Waizman, dein Vater.«
»Er sieht ganz anders aus als auf dem alten Bild.«
Das stimmte allerdings. Das einzige Foto, das sie von Jakob besessen hatte, eine Aufnahme von vor 1940 , zeigte einen Studenten, einen jungen Burschen, der keine Sorgen kannte und frech in die Kamera grinste. Die neuen Bilder zeigten einen erwachsenen Jakob, einen Mann mit traurigen Augen und mit Falten um die Mundwinkel, die für jemanden seines Alters – er war jetzt 36 – zu tief waren. Aber das würde dem Blick Ricardos bestimmt entgehen. Er würde sich blenden lassen von dem breiten Lächeln, das dank des Könnens amerikanischer Zahnärzte eine Reihe unnatürlich weißer Zähne entblößte. Er würde sich auf die Kleidung, das Fahrrad und die Werbetafeln konzentrieren, die auf dem Foto zu sehen waren und die von Überfluss und Unbeschwertheit sprachen.
Doch sie täuschte sich.
»Was sind das für komische Löcher in seinen Backen?«, fragte Ricardo vorsichtig. Er hatte gelernt, dass er bei allem, was mit seinem mysteriösen Vater zu tun hatte, äußerste Vorsicht walten lassen musste. Seine Mutter reagierte da immer sehr empfindlich.
»Das sind Narben. Aknenarben. Die bekommt man, wenn man als Jugendlicher, so mit sechzehn Jahren, zu viele Pickel hat.«
»Bekomme ich so etwas auch?«
»Kann sein. Aber das wäre nicht schlimm. Viel wichtiger sind andere Dinge, die du von deinem Vater geerbt hast, Klugheit zum Beispiel.«
Ricardo sah das etwas anders. Er fand, dass der Mann auf den Fotos böse aussah, mit diesen
Aknenarben
und mit den vielen Zähnen im Mund. Er war bitter enttäuscht, dass so jemand sein Vater sein sollte, und weigerte sich, ihn als solchen zu betrachten oder gar so zu nennen. Er hielt sich lieber an »Jack«, das klang wichtig und gab ihm eine Handhabe gegen all die Leute, Kinder wie Erwachsene, die ihn dafür hänselten, dass seine Mutter keinen Mann hatte. Aber das würde sich ja vielleicht demnächst ändern.
Laura hatte Felipe bei einer Ausstellung in Beja kennengelernt. Die Exponate waren grauenhaft gewesen. Zu allem Überfluss hatte es im Begleitkatalog geheißen, der Künstler verstünde
seine Stilbrüche als Verpflichtung gegenüber eines Konstruktivismus im Sinne Laura Lisboas
. Laura wusste nicht, ob sie lachen oder heulen sollte. Eines konnte sie jedenfalls nicht tun: den Künstler und die Organisatoren der Ausstellung darauf hinweisen, dass es definitiv nicht im Sinne Laura Lisboas war, wenn solche Schmierfinken ihren Namen in den Dreck zogen.
»Sie wirken ein wenig … enttäuscht«, hatte ein Mann sie angesprochen, als sie gerade vor einem Gemälde mit dem ebenso prätentiösen wie unpassenden Namen »Tod eins« stand.
»Mich wird wahrscheinlich gleich ›Tod zwei‹ ereilen, wenn ich mir dieses Elend hier noch eine Minute länger ansehen muss.«
Der Mann hatte gelacht und sie zu einem Kaffee eingeladen.
Felipe war Professor für Literaturwissenschaft. Er lehrte an der Universität von Évora und hatte einen lästigen Verwandtschaftsbesuch in Beja vergnüglicher gestalten wollen, indem er sich diese in der Presse hochgelobte Ausstellung ansah.
»Dann
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